Ein Filmer wird zum Plakat für Markenprodukte, die er karikiert
POM WONDERFUL PRESENTS: THE GREATEST MOVIE EVER SOLD
POM WONDERFUL PRESENTS: THE GREATEST MOVIE EVER SOLD
eine
freundliche Besprechung von FILM REPORT ermöglicht durch APEIRON FILMS und
KinoBerlino
Ein spärlich bevölkerter Kinosaal in Berlin Friedrichshain. Freitagabend im Dezember 2011. Drei junge Frauen klettern auf die Bühne und kündigen einen Dokumentarfilm an. Zwei der Damen halten Plakate von Saxoprint hoch und laufen damit auf der Bühne aufreizend aber pikiert hin und her. Die dritte Frau (Festivalleiterin Anna Winkler) erwähnt diese Firma etliche Male und liest deren Werbeflyer vor. Die Präsentation erheitert, denn wir sitzen im 1. Internationalen Comedy Film Festival. Da ist Übertreibung geradezu Pflicht.
Wie
finanzieren sich Filme und Sendungen heutzutage? Genauer: Was sind Product
Placement, Werbung, Marketing? Welche Auswirkungen haben sie auf Menschen,
Meinungen, Integrität? Der durch den Fast Food Schocker SUPER SIZE ME bekannt
gewordene amerikanische Dokumentarist Morgan Spurlock widmet sich diesen ökonomiekritischen
Fragen in einem unterhaltsamen und lehrreichen Experiment. Da gehen die Augen
auf und die Kinnlade klappt herunter.
Seine
Grundidee ist, dass er charmante 1,5 Millionen Dollar von Firmen einsammeln
möchte für genau diesen Film, der sich mit der Markenmacht und Omnipräsenz von
Produktnamen in der Unterhaltungsindustrie befasst. Beispiele sind Blockbuster
und Großproduktionen, die einerseits Produkte im Film zeigen und sie so mit
Charme, Coolness oder Sexappeal der Stars verkaufsfördernd aufladen,
andererseits durch Cross-Marketing (Spielfiguren bei Fast Food Ketten,
Sammeltassen etc.) den Filmerfolg zu sich selbst zurückholen und Kunden binden.
Aber funktioniert das auch bei Autorenfilmen und Dokus? Kann Spurlock das Paradox
erschaffen, dass sich Kapitalisten offen und wissentlich von ihm lächerlich
machen lassen und dafür sogar bezahlen?
Spurlocks
Team arbeitet klassisch: Die Kamera folgt dem Protagonisten und Regisseur in
die Chefetagen, zu Anwälten, Werbefachleuten, Postermalern, Musikbands, Fernsehredakteuren,
Lehrern, Regisseuren und dem Straßenvolk. Die interviewten Personen geben ihre
Meinung und Erfahrung zu seiner Idee kund und entblößen so teilweise
unabsichtlich sich selbst und ihre Lebenseinstellung. Der Film handelt fast
ausschließlich davon, wie Spurlock Strategen nach einer Verkaufsmethode befragt
und wie er von Firmenchefs und deren Werbefachleuten Geld einsammelt oder zumeist
herauskomplementiert wird.
Selbstreflexiv
treibt Spurlock diese Methode auf die Spitze und sieht ein, dass er selbst zur
Marke werden muss. Zunächst bekommt er sehr viele Ablehnungen von Firmen, deren
Logos er ständig einblendet und so negativ darstellt. Das kennt man von Michael
Moore. Nennen wir es: Den Profiteuren den Spiegel vorhalten. Man soll um
Spurlock bangen und sich vor feindlichen Anwälten ängstigen, die ihn verklagen
könnten, wie es in Amerika wohl üblich ist. Wird der Film scheitern?
Morgan inszeniert
sich leicht irritiert und zunehmend verzweifelt in Geschäften vor Regalen und hält
zufällige Produkte ins Bild. Eines davon ist ein Pferdeshampoo, das auch
Menschen benutzen können. Der Clou ist, dass Morgan zum Ende des Films hin mit
dieser Firma spricht und für sie einen Werbspot macht. Darin sieht man ihn in
einer Kamerafahrt mit Schaum im Haar, dann seinen nassen Sohn und schließlich
ein shampooniertes Ponny zusammen in der Badewanne. Putzig! So funktioniert THE GREATEST MOVIE EVER SOLD.
Hoffnung
macht Spurlock eine Fast-Food und Tankstellenkette, die ihm 100.000 $ geben. Im
Gegenzug isst er im Film deren Burger bei Interviews in ihren Filialen und
tankt seinen gesponserten Mini-Cooper nur bei ihnen. Weitere 50.000 $ bekommt
Spurlock von einer Deodorant-Firma. Später sieht man das Produkt auf dem Tisch
beim Interview mit Quentin Tarantino.
Aber der
Knaller ist POM, ein Fruchtsaft aus Granatäpfeln. Ganz leger luchst Spurlock
dieser Firma eine Million Dollar ab. Dafür tauchen sie nicht nur im Filmtitel
auf. Er trinkt vertraglich gebunden nur noch ihren Saft im Bild, macht alle
Konkurrenzprodukte unkenntlich, trägt einen Anzug mit ihrem Logo, das auch auf
seinen Postern und Autos erscheint.
Zudem baut
er direkt im Film drei selbst gemachte Spots für POM WONDERFUL ein, in denen er
vergleichende Werbung macht. Zwar lehnt die Firma seine anzüglichen Entwürfe
(mit Monster-Erektion) ab. Aber sie bezahlt einen marketingkritischen Film.
Spurlock
brüstet sich damit, den ersten Dokumentarfilm mit integrierten Werbespots
geschaffen zu haben. Er wirbt auch für eine Hotelkette und inszeniert sich in deren
Bademantel in Slow-Motion schlendernd und genießend. Er benutzt nur eine einzige
Fluggesellschaft und bastelt mit seinem fotogenen Kind einen Spielzeugflieger.
Spurlock erscheint auf allen Bildschirmen in den Flugzeugen, findet sich auf
Sammeltassen, Aufstellern, Postern, Werbeflächen und Großtransparenten. Er wird
zur Litfasssäule, zum Logo-Mannequin, zur Selbst-Satire in Talkshows. Sogar in
Schulen dürfen Fernsehsender Werbung in den USA ausstrahlen. Die Schulleiter
kämpfen mit Budgetkürzungen und suchen händeringend nach legalen
Finanzierungsmethoden durch Werbung. Das ist bitter.
Als
Kontrastbeispiel recherchiert Spurlocks Team eine Großstadt, in der jedwede
Außenwerbung verboten und abmontiert wurde. Sao Paulos Bevölkerung wird nicht
jede Sekunde in der Öffentlichkeit von Logos, Postern und Leuchtreklame
malträtiert und lobotomisiert. Man sieht eine Millionenmetropole, deren graue
Hauswände frei von Produkthinweisen und Kaufanreizen sind. Politiker, Händler
und Bürger berichten, wie das ihr Leben veränderte. Die Bürger freuen sich über
weniger Ablenkung und Augenfrieden oder Kunst und Graffiti. Ihr
Selbstwertgefühl steigt durch die Abwesenheit der Photoshop-verschönerten
Supermodels und Stargesichter. Die Politiker zitieren Zufriedenheitsumfragen
mit 90%. Viele Händler weichen auf Mundpropaganda und Schaufensterdekoration
aus. Ihre Marken sind ja ohnehin schon im Unterbewusstsein der Konsumenten
angekommen. Es geht also auch ohne permanente Markenhypnose in der
Öffentlichkeit. Daran sollte sich Berlin ein Beispiel nehmen!
Wie wir aus
unseren Seminaren und Lehrbüchern wissen und durch Talkshows, Feuilleton und
Diskurse reflektieren, versucht Marketing in einer Welt der Überinformation,
Diversifizierung, Online-Migration und Überproduktion dem
Aufmerksamkeitsverfall und der Überalterung der Konsumenten mit Witz,
Unterschwelligem, Plattem, Hypnose, PLP, Lügen oder Halbwahrheiten zu begegnen.
Ziel von Webung und Politik ist ja, Menschen zum Konsum, zur Wahl zu bewegen
und sie langfristig zu binden. Wiederhole deine Botschaft lange genug, um den
Widerstand zu brechen! Tu es emotional und mit Klischees; magnetisiere mit
Berühmten und Glücksversprechen!
Seit wir
das wissen, sind wir keinesfalls alle immun. Aber wir können entscheiden, uns
dem Mechanismus weniger auszusetzen oder ihn für unsere Zwecke anzupassen. Wenn
Sie bis hierher lasen, interessieren Sie bestimmt auch einige der anderen Texte
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werden!
Was bei
Leistungssportlern schon lange Usus ist, übernimmt Morgan Spurlock im
Selbstversuch auch für den Dokumentarfilmbereich. Ob Werbung generell lügt oder
ob Produkte glücklich machen, wird kaum kontrovers diskutiert, lediglich
angeschnitten. Wir manipulieren uns alle ständig. Wir nennen es Gesellschaft.
Produzenten nennen es Markt. Einige Strategen konditionieren unsere emotionalen
Kaufreflexe. Wenn man glaubhaft sein will, braucht man Sichtbarkeit. So der
Kernsatz eines Werbefuzzis in Miami. Spurlock kommentiert das nur, indem er es
konsequent übertreibt und sich manchmal fragt, ob er sich nun verkauft hätte.
Ja. Hat er. Aber für einen guten Zweck und mit erstaunlichem Ergebnis.
Selbst wenn
nur einige der Zuschauer ab jetzt bewusster mit den Mechanismen der Marken-Strategen
umgehen oder politisch aktiv werden, hat der Filmer sein Ziel erreicht.
Wünschen wir ihm das Beste, vollere Kinosäle und einen stets gut mit Saft
gefüllten Kühlschrank!
Der Name
Spurlock taucht 15 Mal in diesem Artikel auf und verstärkt so das Branding!
Das Comedy Film Festival wurde laut Katalog zu 100% durch Crowdfunding finanziert bei
Startnext. Ein Team von 24 Leuten brachte Freunde, Familie und Cineasten im
Internet dazu, der Komödie in der Berliner Festivallandschaft durch Spenden eine Nische zu
erobern. Wenn das bei kleinen Filmprojekten, Theatern oder Bands funktioniert,
warum dann nicht auch bei einem Festival?
Eine Woche lang flimmern Lustiges und Absurdes, Schmunzelstoff und Schenkelklopfer über zwei Leinwände im Filmtheater am Friedrichshain. Hingehen und Lachen heißt also die Devise. Das hält gesund, trainiert das Zwerchfell, schüttet Glückshormone aus und macht eine zweite Auflage des Festivals möglich. Mit den Füßen abstimmen! Die Filmauswahl orientiert sich an Festivalerfolgen und dem Kuratorengeschmack. Willkommen in der Stadt mit fast täglichen Filmfesten! In der Flimmerkiste der Republik.
Eine Woche lang flimmern Lustiges und Absurdes, Schmunzelstoff und Schenkelklopfer über zwei Leinwände im Filmtheater am Friedrichshain. Hingehen und Lachen heißt also die Devise. Das hält gesund, trainiert das Zwerchfell, schüttet Glückshormone aus und macht eine zweite Auflage des Festivals möglich. Mit den Füßen abstimmen! Die Filmauswahl orientiert sich an Festivalerfolgen und dem Kuratorengeschmack. Willkommen in der Stadt mit fast täglichen Filmfesten! In der Flimmerkiste der Republik.