8. Oktober 2010

Another Year

The solace of a family...

...and the demise of the lonely in old age

“Change is hard, isn’t it?” This is offered as consolation to a depressed and uncommunicative counselling client in the opening of Mike Leigh’s latest film ‘Another Year’. The film follows an almost too perfect, too stable couple through another year as they approach old age. Both have fulfilling jobs, a comfortable home, a well adjusted grown son who likes spending time with them, and who even helps them out in their allotment where they work side by side growing their own vegetables. Everything would seem to be in place. In stark contrast to their perfect life are their long term friends, who have clearly seen better days. They find themselves ageing and alone in the world, drinking and smoking too much, and watching yet another year pass by with less and less to feel positive about. Then there’s the brother, who’s just lost his wife who he perhaps did not really get along with anyway, and his estranged and angry son. The supposed ‘golden years’ are not far off, yet unlike the perfect couple, the rest look more likely to shuffle into their old age swathed in a dreary shade of grey. Unlike so many contemporary British films which are made according to the standard, easily palatable, Hollywood formula, the films of Mike Leigh have always been much more domestic in pitch. The tempo, dialogue, and aesthetic of Leigh’s films offer little in the way of polish and a lot in the way of down to earth ‘reality’. They are not necessarily meant to entertain, but rather offer an often extremely spare and gritty portrait of the dismalness or mundaneness of life. Though Leigh has in the past used this approach to great effect – ‘Secrets and Lies’ (1996) and ‘Happy-Go-Lucky’ (2008) are two very different yet equally successful achievements in his brand of film realism – there were moments during ‘Another Year’ where I found myself wishing for more. Wishing for someone to say something, anything, of substance. On more than one occasion I felt that pang of annoyance you get when sitting on the bus behind two people who are talking incessantly and inanely for the entire journey about nothing at all. It was realistic, indeed – there was ample talking, pleasantries and pointless exchanges aplenty – but there was often simply nothing meaningful to listen to, and more importantly little to allow the characters much depth.
With that said, there were some touching moments, especially towards the end of the film where the characters actually involved themselves emotionally, and had some meaningful interactions. Indeed, I have been left with some lingering impressions from the film’s more thoughtful passages. In the end, however, I am not entirely clear what message the film is hoping to leave you with. The well functioning couple sit in the centre of this film, content but somewhat dull, while their youthful son finds love (and looks set to follow a similarly content but dull path), and their age contemporaries drift into loneliness, depression, and low level alcoholism. Time passes, but for the most part things stay pretty much the same. Change is hard? Certainly. And though the lucky few may have found someone they genuinely like to spend the passing time with, for the rest it is exactly a lack of change that is the hardest thing of all.

Bewertung:* * *
Originaltitel:ANOTHER YEAR
Deutscher Titel:ANOTHER YEAR
Land:England
Jahr:2010
Regie:Mike Leigh
Mit:Jim Broadbent, Ruth Sheen, Lesley Manville, Michelle Austin
Buch:Mike Leigh
Produzent:Georgina Lowe
Kamera:Dick Pope
Musik:Gary Yershon
Dauer:129
Der Film im Internet:http://www.anotheryear-movie.com/


Kinostart:27.01.2011
Rezensent:Zoe Goldstein

10. März 2010

Berlinale Abschlussbericht 2010

http://serum-core.de/apeiron/main/pics/2010_berlinale.jpgWETTBEWERB | SPECIAL | GENERATION | RETROSPEKTIVE 

Das war sie also, die sechzigste Berlinale. Ein rüstiges Mädchen, dem man stellenweise das Alter nicht anmerkte. Tapfer harrten die Autogrammjägerinnen im Schnee aus, um an Leo, Juliane, Moritz, oder Shah Rukh Kahn für Sekundenbruchteile auf Atemwolkennähe heran zu kommen. Artig absolvierten die zumeist unbekannten Schauspielerinnen und Produzenten die Rituale der Pressekonferenzen. Gedrängt lauschten die erwählten Jungfilmer beim Talent Campus den etablierten Medienschaffenden. Allerhand Bärenpreise und Ehrungen fanden ihre glücklichen Gewinner. Marlene Dietrichs Hologramm ließ sich mit Touristen vor ihrem neuen Ehrenstern fotografieren. Warteschlangen bevölkerten Kinos, Kassen und brandeten gegen Türsteher. Über 300.000 Karten erwarben die Cineasten. Das freut auch die Tourismusbranche der Hauptstadt.

Unsereins trieb sich wie immer in Kinos und Lounges herum, tauchte in Fiktionen ein, kritisierte, netzwerkelte und genoss die exquisiten Speisen bei Partys und Empfängen mit Aug und Gaumen. Cinematografische Kleinode wechselten sich mit Enttäuschungen ab; es gab viel Mittelmaß und mehrmals Langweiliges zu sehen. Wo manch Regisseur sein Werk mit Sprache überlastete, verzichteten andere auf Handlung und verweigerten sich dem Publikum mit Streifen, die weder unterhalten noch provozieren. Deshalb erwähnen wir sie nicht. Detailliertere Kritiken zu einzelnen Filmen findet man ebenfalls auf unserer Webseite.

Die Finanzkrise spiegelte sich in preisgünstigen, schlichten Familienthemen wider, welche das gesamte Programm dominierten. Was Direktor Kosslick als Errungenschaft hinstellte, war eigentlich nur eine Bilanz des Geldrückzugs aus der Filmwelt. 200 Filme weniger als im Vorjahr wurden gezeigt. Da halfen auch die gestylten Kellnerinnen, Kartenabreißerinnen und Eleganzverströmer nichts oder die wenigen BMWs des neuen Sponsors. Wo alle deutschen Fördertöpfe ausgeschöpft wurden, hielt sich der Applaus in Grenzen und Buhrufe wurden lauter (HENRY 4 und JUD SÜSS). Immer mehr Menschen begreifen, wie verfilzt die Filmförderung in diesem Land geworden ist und wer dort den Fuß in der Tür hat. Da verwundert es kaum, welche Stoffe von welchen Autoren bis an die Produzenten gelangen. Allerdings hat längst eine Demokratisierung der Filmerszene eingesetzt, die unabhängig von Förderung und Festivals funktioniert und den Hochschulnachwuchs aus der PERSPEKTIVE zunehmend fade aussehen lässt. Wie zum Trotz gönnte sich die Berlinale einige hochauflösende Digitalprojektionen, die mitunter abstürzten.

Schärfer als früher trennte man Pöbel und Presse von den VIPs. Das vorherrschende Gefühl war das der verpatzten Selektion: Einerseits wählten Kommissionen Filme und Talent Campus Teilnehmer aus, die Jurys kümmerten sich dann um Preise. Andererseits wirkte das Programm beliebig und wie eine Lotterie mit vielen Nieten. Zwar kann auch die Berlinale nur aus dem wählen, was eingereicht wird, aber sie hat inzwischen einen Eventcharakter angenommen, der jedem noch so schwierigen und öden Film ein volles Kino beschert und von der Kritik losgelöst existiert. Das freut jeden Filmemacher, wirft aber Fragen nach dem Zweck solcher Massenveranstaltungen auf. Bei Weltpremieren konnte sich das Publikum vor dem Kartenkauf keine Meinung bilden, da die Berlinale Presseembargos verhängte um die Filme wenigstens einen Tag lang zu schützen.

Die Berliner Filmfestspiele fächerten sich wie üblich in Sektionen auf, ohne dass diese allezeit klar zu unterscheiden wären. So liefen anstrengende Kunstfilme im Wettbewerb und vergnügliche Schmankerl im Panorama oder Generation Programm, welches im 14plus-Segment dennoch leicht schwächelte. Beim Treffen der kleineren Berliner Filmfeste (Festiwelt) zeigte sich: Man braucht längst nicht mehr auf den Februar zu warten, um seltene internationale Filme im Kino zu sehen. Ganzjährig widmen sich diese Festivals und Workshops wie das KINOKABARET den unterschiedlichsten Genres und Regionen, tragen brav zum Kulturüberangebot der Hauptstadt bei.

Während nun die roten Einwegteppiche im Stadtzentrum vom Boden gerissen und die Plakate eingerollt wurden, lohnt sich eine Rückschau auf Geflimmertes und Erlebtes.


Der türkische Beitrag BAL von Semih Kaplanoglu gewann im WETTBEWERB den goldenen Bären. Darin lernt ein kleiner Junge das Imkerhandwerk. Die Jury um Werner Herzog war davon begeistert. Kann man nun auf einen regulären Kinostart hoffen? Bisher reagierte das Publikum außerhalb der Festivals oft wenig auf Preisträger.
Leonardo DiCaprio spielt in SHUTTER ISLAND den Ermittler Teddy Daniels, der das Verschwinden der Insassin eines abgelegenen Hochsicherheitssanatoriums in den 50er Jahren untersucht. Dabei gerät er in eine Verschwörung, die ihn immer paranoider macht. Ben Kingsley leitet als Dr. Crawley die Einrichtung und Mark Ruffalo steht unserem Helden zunächst als Kollege Chuck zur Seite. Allmählich begreift man, dass man in einer vielschichtigen Projektion des Protagonisten gefangen ist. Wir teilen also seine Schizophrenie. Martin Scorsese als gern gesehener Gast auf der Berlinale sorgte mit seiner Besetzung immerhin für etwas Glamour.

EN GANSKE SNILL MANN von Hans Petter Moland wurde zum Publikumsliebling gekürt. Darin erlebt ein frisch entlassener Häftling abstruse sexuelle Abenteuer und muss sich den Geistern und Kumpanen der Vergangenheit stellen. Mit umwerfender Situationskomik und exzellentem Ensembleschauspiel gelingt diesem norwegischen Film um Stellan Skarsgård als Ulrik das fast Unmögliche: Die Kritiker lachen ebenso herzlich wie das normale Publikum. Das liegt sowohl am Timing des Drehbuchs als auch an der trockenen Erzählweise. Die Figuren haben alle mehr oder weniger gravierende Psychomacken, weshalb Ulrik mit seiner stoischen Art einen wunderbaren Kontrast erzeugt. Hut ab!

Die unerwarteten Gewaltausbrüche eines Polizisten in THE KILLER INSIDE ME erschüttern ein ansonsten ruhiges Städtchen. Jim Thompsons Romanklassiker von 1952 reizte den Dokumentarfilmer Michael Winterbottom anscheinend so sehr, dass er sein Genre wechselte. Er besetzte den Film mit einem charmanten aber gestörten Cassey Affleck und der sexhungrigen Jessica Alba. Das eigentlich Originelle an der Geschichte ist nicht die Gewalt gegen Frauen, sondern deren Reaktion darauf: Sie lassen es aus Liebe geschehen. Die Kritik reagierte verhalten.

Als die Kinder des Lesbenpaares Nic und Jules ihren biologischen Vater Paul kontaktieren, wird für kurze Zeit das Familienleben in Lisa Cholodenkos THE KIDS ARE ALRIGHT durcheinander gewirbelt. Pauls Überraschung verwandelt sich in Vatergefühle. Die Damen überschütten den Eindringling mit Höflichkeit und ein Techtelmechtel mit Jules verkompliziert die Situation. Das gefiel dem Publikum, gerade weil es nach dem Strickmuster amerikanischer Drehbücher verläuft.

Roman Polanski konnte sich seinen silbernen Bären für THE GHOST WRITER nicht selbst abholen. Darin entdeckt der Ersatzautor (Ewan McGregor), der auf einer amerikanischen Insel die Biografie des britischen Ex-Premierministers Lang (Pierce Brosnan) schreiben soll, mysteriöse Dokumente, die seinem Vorgänger zum Verhängnis wurden. Als Lang von einem früheren Kollegen der Kriegsverbrechen im Irak beschuldigt wird, dringen Demonstranten und Presse fast in das Anwesen ein und Lang fliegt nach Washington. Langs Frau (Olivia Williams) schläft derweil mit dem Ghostwriter, der seinerseits gefährliche Recherchen anstellt. Dieser Film legte bereits einen schwachen Kinostart hin. Abgesehen von den Stars und dem Ende reißt er nicht so richtig mit.


In der Abteilung BERLINALE SPECIAL beeindruckte der rekonstruierte Klassiker METROPOLIS (1927) von Fritz Lang auch dank hervorragendem Rundfunk-Sinfonieorchester. Die in Argentinien gefundenen Szenen mit dem „Schmalen“ (Fredersens Spion, gespielt von Fritz Rasp) und weiteren Zwischenschnitten sind von der Bildqualität zwar äußerst mitgenommen, runden aber die bisherige verstümmelte Version mit Humor ab. Was man im Kino per Digitalprojektion geboten bekommt, lässt einen die unbequeme Bestuhlung im Friedrichstadtpalast vergessen.
In einer von New York inspirierten futuristischen Stadt mit extremem sozialen Gefälle bastelt der Wissenschaftler Rotwang (Rudolf Klein-Rogge) eine Maschinenfrau, der er das Aussehen der verträumten Heiligen Maria (Brigitte Helm) gibt. Freder (Gustav Fröhlich), der Sohn des Bürgermeisters, hat sich in diese verliebt. Eigentlich will Rotwang nur Hel, die verstorbene Frau des Stadtfürsten Fredersen, wiedererwecken, die er einst verehrte. Die blinzelnde Maschinenfrau (der Ur-Cyborg) verhext die Oberschicht und zettelt als Hure Babylon in der Arbeiterstadt eine Revolution an, bei der fast die Kinder der Arbeiterklasse ertrinken. Freder und Marie retten die Kinder und der Herz-Maschinist Grot (Heinrich George) verbrennt die Maschinenfrau auf dem Scheiterhaufen. Freder kämpft mit Rotwang und schmeißt ihn vom Kirchendach. Typische übertriebene Theatermimik aus der Stummfilm-Ära gesellt sich zu gigantischen Bauten und richtungsweisenden Filmtricks. Hinzu kommt dreimal die Botschaft des Films: Mittler zwischen Hirn und Hand muss das Herz sein! Alle Figuren sind symbolische Archetypen und selbst die Totsünden mitsamt Sensenmann stopfte der Regisseur noch hinein. Das verschlang das dreifache geplante Budget und floppte in den Kinos 1927, weshalb der amerikanische Verleih ja die gekürzte Fassung zeigte.
Der Inhalt wird beim Publikum als bekannt vorausgesetzt, weshalb selbst der Berlinalekatalog nur auf die Geschichte der Filmrestaurierung des Klassikers eingeht.

Einen italienischen Regisseur mit Ladehemmung erlebt man im Musicalfilm NINE von Rob Marshall. Basierend auf Fellinis autobiographischem Film 8 ½ und dem Musical von 1982 langweilt uns dieser Streifen mit Spielhandlung, die ständig durch überflüssige Showeinlagen in einem Filmstudio unterbrochen wird. Umgeben von Sexgöttinnen, Mutterfiguren und Musen, befällt Guido (Daniel Day-Lewis) eine Schreibblockade. Sein wahnwitziger Produzent brachte einen Film namens ITALIA ins Rollen, ohne auch nur eine Drehbuchseite zu haben und will in 10 Tagen loslegen. Nacheinander absolvieren folgende Schauspielerinnen ihre Gesangs- und Tanzauftritte: Penélope Cruz, Marion Cotillard, Nicole Kidman, Judi Dench, Sophia Loren, Kate Hudson. Wieder einmal zähle ich nicht zum Zielpublikum und ärgere mich, dass ein Musical verfilmt wurde. Selbstreflektive Filmfilme gibt es zuhauf und nur die akzeptable Spielleistung der Stars hindert mich am Wegrennen.

Pünktlich zum 60. Geburtstag zeigt die Dokumentation SPUR DER BÄREN von Hans-Christoph Blumenberg die Entwicklung des mittlerweile größten deutschen Filmfestivals, das sich wacker in der Riege der A-Festivals wie Cannes und Venedig behauptet. Neben vergnüglichen Fakten, viel schwarzweiß Archivmaterial aus den frühen Jahren und Interviews mit Stars kommen auch die Probleme zur Sprache, die mitunter bis zur Auflösung von Jurys oder gar dem Festivalabbruch führten. Man zerrieb sich 1970 und 1979 über bestimmten Filmen und deren politischem wie künstlerischem Gehalt (siehe Langrezension).


In der Sektion GENERATION (Kinder- und Jugendfilmfest) gewann die Dokumentation NEUKÖLLN UNLIMITED von Agostino Imondi den gläsernen Bären der 14plus Jury. Darin rappen und tanzen die Geschwister Lial, Hassan und Maradonna sich durch den „Problembezirk“ und später bis nach Paris. Allerdings ist ihre Mutter Libanesin; ständig droht einem Teil der Familie die Abschiebung. Talentiert und diszipliniert aber vergeblich versuchen die Schüler Lial und Hassan neben ihrer Ausbildung mit ihrer Kunst Geld zu verdienen, damit die restlichen vier Geschwister und die von Transferleistungen lebende Mama bleiben dürfen. Die Protagonisten erinnern sich in Animationsfilmsequenzen an ihre erste nächtliche Ausweisung aus Deutschland vor einigen Jahren. Polizisten, Angst, Panikanfall der Mutter, Flughafen, Fahrt durch eine Wüste, trostlose Libanesen. Leider vergaßen die Filmemacher eine entscheidende Information: Wie genau gelangte die Familie zurück nach Berlin?
Auf der Feier nach dem Triumph sagte der junge Maradonna, solche Partys wären nichts für ihn. Er würde lieber zu hause beten. Man konnte ihn in einer islamischen Demonstration am Roten Rathaus vorbeimarschieren sehen und erlebte ihn im Film oft als verhaltensauffällig und suspendiert. Dem Zielpublikum, das weit über den Kreis der Migranten hinausgeht, gefiel diese beschwingte Doku besser als alle fiktionalen Beiträge. Wer ist deutsch? Wer darf über Familienschicksale entscheiden? Bald startet NEUKÖLLN UNLIMITED im Kino, was man nur begrüßen kann!

Weiterhin sehr sehenswert im Programm für junge Leute waren das koreanische Waisenheimdrama A BRAND NEW LIFE, der schwedische Alleingängerfilm SEBBE (siehe Rezension), die amerikanische Komödie ums komplizierte „erste Mal“ YOUTH IN REVOLT und der Zeichentrickfilm WELCOME TO THE SPACE SHOW, in dem ein paar Kinder wilde intergalaktische Abenteuer erleben.

Im dänischen SUPERBROR erlangt der autistische Junge Buller durch Kontakt mit einem außerirdischen Spielzeug Superkräfte, was seinen kleinen Bruder Anton mächtig freut. Dieser war bisher der Mann im Hause, da die Mutter allein erzieht. Endlich kann Buller die gemeinen Piesaker von Anton vermöbeln und mit der Familie nach Paris zum Eisessen fliegen.

Zu den gelungenen 14plus Kurzfilmen zählen: MEGAHEAVY, KISSING IN A FRIEND'S MOUTH, AZ BAD BEPORSID und ØNSKEBØRN.
Eher enttäuscht oder gelangweilt war man nach den Spielfilmen TE EXTRAÑO (I MISS YOU), THE FAMOUS AND THE DEAD und SISTER WELSH'S NIGHTS.


Die RETROSPEKTIVE hatte mit IM REICH DER SINNE (1976) einen „kontroversen Sexfilm“ im Programm. Dieser brachte dem FORUM-Gründer seinerzeit eine Sittlichkeitsklage ein. Darin schaut man tatsächlich einem japanischen Paar zu, wie es sich ununterbrochen der Lust hingebt, bis einer tot ist. So richtig erregte das Erwürgen zwar nicht, aber immerhin waren nackte Menschen beim Liebesspiel auf der Berlinale zu bestaunen. Das passierte natürlich auch in vielen anderen Filmen, war aber nirgendwo sonst Hauptthema.

22. Februar 2010

Glukhota

Außen vor

Ukrainischer Beitrag bei den Berlinale Shorts 2010

Ein interessantes Experiment: Ein Film ganz ohne Sprache war das Konzept des ukrainischen Regisseurs Myroslav Slaboshpytskiy. Die Kamera fängt ein Geschehen vor einer Taubstummenschule ein und wer der Gebärdensprache mächtig ist, kann verstehen, was da vor sich geht. Der normal Hörende muss sich die Geschichte aus den Bildern zusammen reihen, und die sind dürftig: Eine einzige Kameraeinstellung, die das Geschehen ohne Schnitt verfolgt, muss reichen, um die rätselhafte Begebenheit zu erzählen.

Viel passiert nicht: Man sieht zwei junge Männer auf dem Hof einer staatlichen Einrichtung, der eine wild gestikulierend, teilt dem anderen sein Anliegen mit. Schließlich verabschieden sich beiden mit einer handfesten Umarmung, und gehen in verschiedenen Richtungen auseinander. Kurz darauf fährt ein Polizeiwagen vor. Einer von zwei Beamten steigt aus, winkt eine Schülerin an den Zaun, schreibt etwas in ein Buch, reicht es ihr rüber, sie holt daraufhin einen der beiden Männer zurück. Der verhält sich dem Polizisten gegenüber unnahbar, folgt diesem jedoch in seinen Wagen und wird dort, bei laufendem Motor, von den Beamten ordentlich in die Mangel genommen. Schließlich schreibt auch er etwas in das Notizbuch, darf dann das Fahrzeug verlassen und blickt ihm schließlich, wild beschimpfend – diese Zeichen versteht auch der Nicht-Taube – hinterher. Was war da los?

Der Zuschauer erfährt es nicht wirklich. Aber die Bilder reichen, um den Film im Kopf weiterlaufen zu lassen. Urteile selbst: Auf welcher Seite stehst Du, Publikum? Wer kann schon sicher sagen, ob das Gebaren der Polizisten als Kritik zu verstehen ist, oder das mysteriöse Gemauschel der jungen Männer diese Handhabe eben erst provozierte?! Genau darin liegt die Kunst dieser kurzen Erzählung.



Originaltitel:Glukhota
Deutscher Titel:Taub
Land:Ukraine
Jahr:2010
Regie:Myroslav Slaboshpytskiy
Mit:Dmytro Sokol, Oleksand Fomichov, Sergiy Gavryluk
Buch:Myroslav Slaboshpytskiy
Produzent:Elena Slaboshpytskaya, Volodymyr Tykhiy, Denys Ivanov, Yana Semernya
Kamera:Dmytro Sannykov

Dauer:11 min

Rezensent:Verena Schulemann
Bewertung:  * * *

HÄNDELSE VID BANK

Ansehen aber nicht reflektieren

Gewinner der Berlinale Shorts 2010

Betrachtung und Reflexion ist nicht dasselbe. Bedarf es für das Erstere allein des visuellen Werkzeugs, braucht es fürs Letztere geistige Fähigkeiten zur Selbstbetrachtung und selbständigen Einordnung in einen Kontext – Grundlage verstandesmäßigen Handelns.
Dass dieses im Medienzeitalter immer mehr verdrängt werde, dass den Menschen durch die Realitätsferne der Bilder, die sie tagtäglich an ihren Bildschirmen betrachten, zwar ein Übermaß an Betrachtung aber kaum noch Reflexion abverlangt wird, ist keine neue Kritik.

Diese Kritik zum Inhalt eines Kurzfilmes zu machen, aber schon. Der Blickwinkel des schwedischer Regisseurs Ruben Östlund, der sich mit seinem Film HÄNDELSE VID BANK auf eine wahre Begebenheit eines misslungenen Banküberfalles aus dem Jahr 2006 bezieht, ist der eines Theaterzuschauers: Die Kulisse bildet die architektonisch praktisch gestaltete Fassade einer Bank. Sie wird von einem bewaffneten und vermummten Räuberduo erstürmt und 94 (!) weitere Darsteller machen das Randgeschehen erfahrbar. Die Räuber eilen auf dem Mofa herbei, stürmen die Bank, es fallen Schüsse, ein Hausmeister huscht zum Flucht-Mofa und wird schließlich mit Ballerei verjagt, ein Abi-Jahrgang zieht vollkommen unbeteiligt jubelnd auf einem Festwagen vorbei. Ein paar Jugendliche mit ihren Skateboards zucken beim Abfeuern der Handfeuerwaffen zusammen, ein Pärchen sucht schreiend das Weite. Schließlich kann einer der beiden von einem Sicherheitsteam überwältigt werden. Der Zweite entkommt.
Kommentiert wird diese Gesellschaftsparabel von zwei Männern im Vordergrund, deren naive Betrachtung zugleich die oben ausgeführte Reflexionskritik erfahrbar macht. Wie ein Fernsehspiel beobachten die beiden das gefährliche Geschehen und fragen sich, ob sie die Polizei rufen sollen, oder nicht und ob es sich hier wohl um einen Banküberfall handelt.
Schließlich verstehen auch die beiden in Passivität geübten Augenzeugen, dass hier etwas Ungewöhnliches seinen Lauf nimmt – und die logische Reaktion dieser beiden Zeitgeist-Protagonisten ist natürlich, das Geschehen mit ihrer Handykamera aufzunehmen. Dabei ärgern sie sich über das Zittern der Hände „vor Aufregung“, noch mehr aber über die eingeschränkten Zoommöglichkeiten trotz angeblicher 8 Megapixel. Und sind am Ende doch stolz über die mediale Beute, ziehen plaudernd von dannen, während der am Boden gehaltene Bankräuber verzweifelt schreit: “Ich habe nichts getan!”
Abgebrüht kann man das nicht nennen, vielleicht aber Trägheit des Herzens. Doch daran störte sich bereits die Kirche, die sie zu den sieben Todsünden zählt – ist also beileibe kein Phänomen der Neuzeit.

Zeigefinder-Mentalität war sicher nicht Östlunds Anliegen, der zurzeit seinen dritten Spielfilm dreht, sondern vielmehr das Stilmittel der Ironie, das auch die Berlinale-Jury überzeugte, der der Film ein Goldener Bär wert war. Neben den perfekten Dialogen lobte sie die humorvolle Darstellung der Menschlichkeit. Schön gesagt.
Bewertung:* * * * *
Originaltitel: HÄNDELSE VID BANK
Deutscher Titel:ZWISCHENFALL VOR EINER BANK
Land:Schweden
Jahr:2010
Regie:Ruben Östlund
Mit:Henrik Vikman, Lars Melin, Bahador Foladi, Ramtin Parvaneh, Leif Edlund Johansson, Rasmus Lindgren, Per-Olof Albrektsson
Buch:Ruben Östlund
Produzent:Marie Kjellson, Erik Hemmendorff
Kamera:Marius Dybwad Brandrud

Dauer:12 min
Rezensent:Verena Schulemann

18. Februar 2010

Sebbe

Viel ertragen

Familiendrama im Programm der Berlinale Generation 14plus

Manchmal lohnt sich für den Kritiker bei der Berlinale eine Vorstellung mit dem Zielpublikum. In diesem Fall sind es Jugendliche im Alter des Gymnasiasten Sebastian, kurz Sebbe. Ihre Reaktionen kommen ungefiltert und erschrecken mitunter. Als Sebbe von drei stärkeren Mitschülern gehänselt, verprügelt, beschimpft und misshandelt wird, lachen einige Jungs im Kino, da sie über eine geringere Reflektionsfähigkeit verfügen. Pädagogen und Eltern haben also noch viel Arbeit vor sich. Ich durchlebte meine eigenen Flashbacks mit Hänseleien. Aha, die Empathie mit dem Protagonisten ist etabliert über sein Leiden.

Der Film spielt in Schweden. Sebbes junge Mutter Eva verarbeitet immer noch den Tod ihres Mannes, worunter auch der Junge leidet. Eva betrinkt sich regelmäßig und vegetiert als nächtliche Zeitungsausträgerin vor sich hin, verzweifelt an ihrer Armut. Trist und grau ist der Winter. In der Schule hat Sebbe nichts zu lachen, weshalb er manchmal schwänzt, lieber frierend Schrott sammelt und sich ein Moped aus einem Kettensägenmotor und einem Fahrrad bastelt. Sein Zimmer erstrahlt von hundert Glühbirnen. Freunde hat er keine. Seine Familie löst sich auf. Wohin also wenden?

Schauspielerisch bietet SEBBE einige sehr intensive Momente, die das Drama voranbringen. In Streits und Trauerszenen zeigt sich, dass die lange Probenzeit sich auszahlte und die Figuren präzise erarbeitet sind. Die vergnügte Kleiderschlacht mit Eva lockert die große Schwere auf. Ein symbolischer schwarzer Hund verfolgt Eva nach dem Einkauf, später sitzt Sebbe in dem Bus, der den Hund überfährt.

Das Sujet der Familienzerfalls steht ja derzeit filmisch hoch im Kurs. Regisseur Babak Najafi gab sich zwar wortkarg und mysteriös bei Publikumsfragen, ließ aber durchscheinen, er hätte mit diesem Film Abstand von klassischen narrativen Mustern genommen. So mag man es ausdrücken. Böse Zungen könnten auch von zu wenig strukturierter Dramaturgie sprechen, die dennoch bei Tränen anfängt und einen Bogen mit Steigerungen zum Ende bildet. In der Tragödie wäre das die Katastrophe. Fast. Teilen des Zielpublikums kam das dann wohl langweilig vor. Aber die Erwartungen an schwedische Spielfilme darf man als hoch bezeichnen, weshalb dieses ruhigere Portrait durchaus solide gemacht wirkt.

Sebbe beweist sehr viel Geduld und steckt jede Menge ein, bevor ihm der Kragen platzt. Er lernt die Einsamkeit kennen. Sein Nachbar und Oberpeiniger beschuldigt ihn des Diebstahls, obwohl er die strittige Jacke zum Geburtstag bekam. Man wartet darauf, dass Sebbe zurück schlägt. Schließlich schleicht er sich auf einen Tagebau in die Dynamitkammer. Sind wir etwa die Vorgeschichte eines Amokschülers geraten? Sehen sie selbst!
Kritik von:Dave
Bewertung:* * * *


Originaltitel:SEBBE
Deutscher Titel:SEBBE
Land:Schweden
Jahr:2009
Regie:Babak Najafi
Mit:Sebastian Hiort af Ornäs, Eva Melander, Kenny Wåhlbrink
Buch:Babak Najafi
Produzent:Rebecka Lafrenz, Mimmi Spång
Kamera:Simon Pramsten


Dauer:79 min


Produktionsfirma:http://www.garagefilm.se

Narben im Beton

Noch ein Sozialdrama

Porträt einer Mutter in Not – Berlinale Perspektive 2010


Bestimmt die Umwelt, wer man ist? Treiben uns die Umstände in den Abgrund? Wenn Anna aus dem Fenster schaut und sinniert, blickt sie auf eine DDR-Neubausiedlung, wie sie in Marzahn und Hohenschönhausen noch immer stehen. Schön ist das allerdings weniger.

Anna hütet drei Kinder und hat noch ein viertes im Bauch. Um sie herum prollt das Leben gar bitterlich. Sie spricht in dem ganzen Film keine 10 Sätze und sieht betrübt aus. Dazu Grund gibt ihr auch Andreas, der vor ihren Augen mit einer anderen herum-macht, derweil Anna den Haushalt organisiert und sehr erschöpft wirkt.
Aha, denkt der Zuschauer, ein Sozialdrama, wie sie hoch in Mode sind bei den Festivals. Da braucht man dann keine Identifikationsfigur, weil eben der Realismus so pointiert wirken soll. Während also die Kinder schön nervig sind und Anna ihr Neugeborenes entsorgt, fragt man sich, warum man diese Studienarbeit schaut. Ach ja, man sitzt in der Perspektive Deutsches Kino, wo ebenjene Studentenfilme laufen, mit denen sich Filmschulen wie die KHM auf der Berlinale brüsten wollen. Nun gut. Im Abspann stehen Professoren, die die Regisseurin (und Autorin) Juliane Engelmann berieten. Diese hat vorher scheinbar nur fünf Kurzfilme gemacht und das Festival Contravision mitorganisiert. Kameraführung und Musik passen denn auch gut zum Sujet. Carmen Birk als Anna strahlt eine traurige Leere aus, die bei mancher Zuschauerin wohl Mitgefühl auslöst. Das ist lobenswert.
Aber das Drama hat auch Schwächen. Selten kam ein Mann so unmotiviert herüber wie der Bösling Andreas, der natürlich überspitzt von Stefan Riedner gespielt wird, weil es ein Film ist. Weil die Botschaft klar erkennbar sein soll mittels Antagonist. Er verkörpert die abwesenden Väter, die Nichtsnutze, die ihre Frauen und Kinder hängen lassen. Ungeniert zieht er zu seiner Tussi drei Häuser weiter. Schauspielerisch beeindruckt das wenig und sieht aus, als habe die Autorin einen Sündenbock gebraucht.
Pünktlich zur Filmmitte im zweiten Akt entbindet also Anna im Badezimmer unblutig und will es geheim halten. Ab diesem Zeitpunkt muss sie um ihre Entdeckung bangen und man wundert sich, welcher dramaturgische Trick jetzt angewendet wird. Es ist eine Kopie aus zig Filmen, in denen Frauen aus Angst ihre Babys ersticken.
Aber das Leben geht einfach weiter, wenn auch nicht für das entsorgte Baby. Keiner nimmt Notiz und die Müllabfuhr erledigt den Rest. Als Andreas wieder einziehen will, ringt sich Anna endlich zu einer Entscheidung durch und verhindert es. Dann kommt ihre Tochter zum Fenster und will weiterspielen. Zeit für Tränen.

Etwas mehr Handlung hätte diesem halblangen Spielfilm gut getan, denn dreißig Minuten könnten ein flotteres Erzähltempo zulassen. Technisch ist NARBEN IM BETON sauber gemacht, aber er unterhält nicht und ist daher untauglich fürs Kino. Vielfalt soll ja gerade bei Festivals aufscheinen und Gesellschaftsprobleme dürfen da nicht fehlen. Das Dauerthema der dysfunktionalen Familie treibt ja fast die Hälfte aller Produktionen um, die auf der Berlinale laufen.
Die Figuren haben hier aber keine Tiefe und das Drama fesselt zu wenig. Die Zielgruppe dürfte eher weiblich sein, wo das Thema Kinderkriegen ja ein Dauerbrenner ist, zumal angefacht durch die endlose Medienschlacht um das Prekariat. Daher kommt bestimmt auch die Filmförderung zum Thema Kindstötung. Ein Kondom wäre einfacher gewesen. Beim nächsten Film vielleicht dann Geld für ein professionelles Drehbuch einplanen. Oder wieder zurück zur Contra Medienwerkstatt und weiter üben.

Bewertung: * * *
Land:BRD
Jahr:2009
Regie:Juliane Engelmann
Mit:Carmen Birk, Stefan Riedner, Lisa Altenpohl, Maggy Domschke, Effi Rabsilber
Buch:Juliane Engelmann
Produzent:Arne Globisch
Kamera:Sin Huh
Musik:Philipp E. Kümpel, Andreas Moisa
Dauer:30 min


Produktionsfirma http://www.khm.de


Rezensent:Dave Lojek

Wo ich bin, ist oben

Auf Reisen mit Oma und Mama

Drei deutsche Frauen im Urlaubsvideo – Berlinale Shorts 2010

Großmutter, Mutter und Tochter unternehmen eine Reise nach Gran Canaria. Etwas, das wohl öfters in deutschen Familien vorkommt. Im Raum steht die Idee: Einmal noch mit Oma verreisen, wer weiß, wie lange das noch möglich ist... So machen sie sich auf, und die Enkelin, die Regisseurin Bettina Schoeller, nimmt den Urlaub mit der Handkamera auf.

Es sind nicht die Ferienbilder, die diese Dokumentation zwischen Koffer packen und Postkartenschreiben so sehenswert machen. Die Gabe der Regisseurin, die auch als Lehrdozentin der Filmschule Babelsberg tätig ist, liegt in dem Gespür für die feine Ironie, die durch das Zusammenwirken von drei Generationen, jede mit ihrer ganz eigenen Wirkung (drei Frauen aus drei Zeiten, drei Deutschlands und drei weiblichen Familienstellungen) eine aparte Dynamik entwickelt. Einerseits zeigt der Film eine aufschlussreiche soziale Analyse der Lebenswelten von drei Frauen aus einer Zeitspanne, die 85 Jahre umfasst, andererseits ist er aber auch eine ur-komische zum Teil Herz erweichende, voyeuristische Unterhaltungsshow: Vor allem Oma – die sich vollkommen ungekünstelt vor der Kamera ausspricht, ist mit ihrem ehrlichen Auftreten eine ideale Interpretin ihrer Generation.

Man wünschte sich allerdings ein wenig mehr Kontroverse. Zum Beispiel als die – sonst liebenswerte - Oma beim Anblick eines Paares unterschiedlicher Hautfarben in Lästerei ausbricht und behauptet, das sei doch furchtbar! Da bliebe sie doch lieber allein, als einen Schwarzen zu heiraten. Die Enkelin begnügt sich mit einer einfachen Nachfrage, hier wurde die Chance zu mehr inhaltlicher Auseinandersetzung vertan.

Auch das transportiert der Film: Trotz unübersehbarer Unterschiede bilden die drei Frauen eine wohl der typischen familiären Harmoniesucht Referenz erweisende genetische Einheit, die der Kompromissbereitschaft Geltung trägt, aber auf Kosten der eigenen Identität geht.

So endet die Reise schlicht mit einem Feuerwerk und der Anweisung der Enkelin an die Großmutter, die sich eben noch in ihren Postkartentexten erfreut darüber gezeigt hat, dass im Hotel ausschließlich Deutsch gesprochen wird, sich auf Spanisch zu verabschieden: „Sag ,Adios', Oma.“ Da kommt der Generationskonflikt allerdings für den Zuschauer zu spät.

Originaltitel:Wo ich bin, ist oben.
Deutscher Titel:Wo ich bin, ist oben.
Land:BRD
Jahr:2009
Regie:Bettina Schoeller
Mit:Tilli Beine, Reinhild Schoeller, Bettina Schoeller
Buch, Produzentin:Bettina Schoeller

Kamera:Bettina Schoeller

Dauer:18


Produktionsfirma:http://www.depoetica.de
Bewertung:* * * *
Rezensent:Verena Schulemann

17. Februar 2010

Spur der Bären

Wie holen wir die Weltstars nach West-Berlin?

Archivmaterial und Interviews zur Berlinale-Geschichte

Pünktlich zum 60. Geburtstag zeigt eine Dokumentation die Entwicklung des mittlerweile größten deutschen Filmfestivals, das sich wacker in der Riege der A-Festivals wie Cannes und Venedig behauptet. Neben vergnüglichen Fakten, viel schwarzweiß Archivmaterial aus den frühen Jahren und Interviews mit Stars kommen auch die Probleme zur Sprache, die mitunter bis zur Auflösung von Jurys oder gar dem Festivalabbruch führten. Man zerrieb sich 1970 und 1979 über bestimmten Filmen und deren politischem wie künstlerischem Gehalt.

Sympathisch und weise plaudert Tilda Swinton auch darüber, wie sie dieses Jahr in der Forum-Sektion gerne mal die Toiletten und Kinosäle reinigen würde, nachdem sie schon Bären-Preisträgerin und sogar Jurypräsidentin war. Tom Tykwer berichtet von Marathons in den 1980ern, wo er fast ununterbrochen in den Kinos saß. Das ermutigt uns junge Filmer, es ihm gleichzutun. DDR-Produzenten kommen ebenso zu Wort wie Großmeister des Autorenfilms.

Zu den weiteren Stimmen zählen Claudia Cardinale, John Hurt, Michael Winterbottom und Wolfgang Jacobsen ebenso wie Artur Brauner, Peter Schamoni, Michael Verhoeven, Wolfgang Kohlhaase, Katrin Sass, Ang Lee und Hans - Christian Schmid. Die Festivaldirektoren Moritz de Hadeln und Dieter Kosslick teilen kleine Geheimnisse. Kosslick trifft sich kurz vor den offiziellen Auftritten mit den Stars, damit es später so wirkt, als wären sie dicke Freunde.

Außerdem sieht man in historischen Interviews Alfred Bauer, Errol Flynn und Jean Luc Godard. Roman Polanski kann leider dieses Jahr seinen Film THE GHOST WRITER nicht persönlich präsentieren, da er ja festgehalten wird in der Schweiz. Werner Herzog hingegen leitet die Wettbewerbsjury.

Man erlebt, wie ein amerikanischer Offizier 1951 das Festival befürwortete und so der Nachkriegsstadt etwas Glamour verschaffte. Viele Berlinale-Direktoren hatten ihr Amt über Jahrzehnte inne. Irgendwann vollzog sich der Wechsel vom Festival der Filmstars zu einem der Filmemacher. Man erfand schrittweise neue Sektionen hinzu, um die Bandbreite des Filmschaffens von Kommerz bis Experiment abzudecken. Nach dem Forum erschuf man das Panorama mit einem Fokus auf Queer Film. Die Wegbegleiter und Festivalmacher beschreiben anschaulich, wie sie die Berlinale erlebten und streuen viele Anekdoten ein.

Zwar ist der Frauenanteil relativ gering, doch bekommt man einen guten historischen Überflug. Bewusst verzichtet diese Dokumentation auch auf Details zu Filmen, da dies den Rahmen sprengen würde. Unaufwändig aber charmant versammelt SPUR DER BÄREN genug Material, dass man erfrischt aus dem Kino kommt und auch etwas über ein Stück Berlingeschichte lernte. Die letzten Jahre kommen zwar zu kurz, aber die haben wir schließlich selbst erlebt. Wer dennoch die Filmtitel der 6 Jahrzehnte sucht, wird auf den aktuellen Berlinaleplakaten fündig.

Originaltitel:Spur der Bären
Deutscher Titel:Spur der Bären
Land:BRD
Jahr:2010
Regie:Hans-Christoph Blumenberg
Mit:Claudia Cardinale, John Hurt, Michael Winterbottom, Wolfgang Jacobsen, Artur Brauner, Peter Schamoni, Michael Verhoeven, Wolfgang Kohlhaase, Katrin Sass, Ang Lee, Hans-Christian Schmid, Tilda Swinton, Tom Tykwer, Alfred Bauer, Errol Flynn, Jean Luc Godard, Roman Polanski
Buch:Hans-Christoph Blumenberg, Alfred Holighaus
Produzent:Martin Hagemann
Kamera:Johann Feindt, Jule Cramer


Dauer:94 min
Wertung:* * * *
 Produktionsfirma:http://www.zerofiction.eu/


Rezensent:Dave Lojek

DERBY

Laß dein Kind erwachsen werden

DERBY bei den Berlinale Shorts 2010

Eltern tun sich schwer, wenn die Kinder erwachsen werden. Auf der einen Seite hat man lange den Moment herbei gesehnt, an dem man wieder für sich sein kann. Wenn's dann aber soweit ist, will man doch nicht so richtig los lassen – oder kann es nicht.
Als die Tochter erwachsen wird und den ersten Freund mit nach Hause bringt, ist das für Vater Mircea eine besondere Herausforderung. Der rumänische Regisseur Paul Negoescu hat sich dieser Thematik in seinem ironischen Kurzfilm angenommen, der in seiner unfreiwilligen Familienkomik an Loriots Streiche erinnert. Doch unernst ist in dem Film des 26-jährigen Diplom-Regisseurs gar nichts.

Da wird der junge Mann beim Hereinkommen kritisch beäugt, während der Hausherr es nicht nötig hat, vorm Fernseher aufzustehen. Alsdann wird sich bei der Mutter und eigenen Ehefrau beschwert, dass die Tochter doch nun zu jung sei, Herrenbesuch zu bekommen. Wobei der Vater von sich auf den Jungen schließt, was die Mama und Gattin in Personalunion sehr wohl erinnert - man war ja schließlich auch mal jung – und die Vorbehalte dementsprechend ab-bügelt.

Doch so leicht gibt sich der Papa nicht geschlagen. Am Abendbrottisch wird der Verehrer in die Mangel genommen. Ausgefragt, ungefragt kritisiert und schließlich landet man beim Fußballverein. Welch ein Fest, dass der junge Nestbeschmutzer der Konkurrenz zugetan ist. Da kann der Vater seiner Antipathie nun endlich freien Lauf lassen und mit Argumenten seinen Club verteidigen. Selbst den Schlachtruf des geliebten Vereins laut in der übersichtlichen Kleinbürgerküche zu skandieren ist gerechtes Mittel zur Revierverteidigung, auch wenn es dafür böse Blicke von den Damen gibt.
Am Ende steht Mann gegen Mann, doch der Jüngere hat das Zimmer der Tochter längst erobert und auch das überraschende Eintreten des auf Krawall gebürsteten Vaters erweckt wenn dann höchstes Mitleid. Jugend punktet und siegt. Dem Papa bleibt nur noch ein Bier aus dem Kühlschrank. Alt werden wir alle irgendwann.
Originaltitel:DERBY
Deutscher Titel:DERBY
Land:Rumänien
Jahr:2009
Regie:Paul Negoescu
Mit:Bogdan Voda, Clara Voda, Nicolas Teodorescu, Maria Mitu
Buch:Paul Negoescu
Produzent:Paul Negoescu
Kamera:Andrei Butica
Musik:Roxana Mocanu
Dauer:15 min
Bewertung:* * * *
Rezensentin:Verena Schulemann