28. November 2011

interfilm 2011 Festivalbericht


Triumph des kleinen Films über Großbudgetproduktionen

http://www.interfilm.de/fileadmin/OrdnerRedakteure/1_interfilmFestival/Downloads_2011/if27_plakatmotiv_dina1_3c_72dpi.jpgZum 27. Mal feierte sich im November die internationale Szene auf Berlins wichtigstem Festival für Kurzfilme. Die Leistungsschau der fleißigen Bastler und tiefgründigen Grübler, der talentierten Unterhalter und frechen Schockierer mauserte sich über die Dekaden vom Wohnzimmerfest zur stilbildenden Instanz. Dem weit gereisten Festivalgründer Heinz Hermanns verdankt Berlin das alljährliche Erstarken einer Mediengattung, die sich wie ein Chamäleon der Zeitgeschichte anpasst, bisweilen dem Fernsehen und Kommerzkino weit voraus ist.

interfilm 2011 unterhielt und überraschte, bewegte und beschallte das Publikum von ca. 16.000 Cineasten (gemeint sind Eintrittskarten) und Fachbesuchern über 5 Tage. Die Zahl klingt hoch. Allerdings gab es 110 Programmblöcke zumeist in kleineren Babylon-Kinos und über 500 Akkreditierte, die zu allen Programmen umsonst Zugang hatten. Wie viele Karten tatsächlich verkauft wurden, bleibt geheim.
Aus nur 7000 Einsendungen pickten die gebeutelten Sichtungsrunden seit dem Frühling immerhin 500 Werke heraus, die sie in Wettbewerben und Themenschwerpunkten wie Schweiz, Gewalt, Asien oder Musikvideo bündelten zu mitunter recht langen Programmblöcken. Wie üblich bekam man reichlich herkömmliches Material aus Filmschulen und von teuren Produktionen zu sehen. Sauber strukturierte Dramen und liebevolle Dokumentationen, kunstbeflissene Experimente und Animationen, Sendefähiges, Skurriles und Absurdes. Zudem gab es virale Internetwerbeclips, frisch gebastelte flinke Gruppenarbeiten, eine Netzwerkbörse und Partys mit Engel Angela.

Bei einer Kritikerrunde aus Journalisten (Radio, Zeitung, Blogs) erfuhr man, warum es eigentlich fast keine regelmäßigen Kurzfilmkritiken zu lesen oder hören gibt: Im kommerziellen Kino werden so gut wie nie Kurzfilme gezeigt. Sie sind auf spezielle Festivals, Arte und Alex TV sowie das Internet beschränkt. Obgleich beliebt und mannigfaltig (siehe vimeo und Youtube), haben Kurzfilme als eigenständige Kunstform keine große Lobby und sind oft nicht vermarktbar. Trotz intensiver Bemühungen seitens Initiativen wie KURZ VOR FILM oder der KurzFilmAgentur  bleibt Produktwerbung für Kinobetreiber eben einträglicher.
Harvie KrumpetDie Kritiker präsentierten jeweils ihre Lieblingsbeispiele. Insbesondere der Animationsfilm HARVIE KRUMPET blieb mir dabei in Erinnerung, der mit der Stimme von Geoffrey Rush die Lebensgeschichte eines traurigen polnischen Einwanderers in Australien zusammenfasst. Keiner der Kritikerkollegen schien selbst Erfahrung als Kurzfilmer zu besitzen. Da beurteilt man dieses Genre natürlich anders als jemand, der wie ich über 100 eigene Werke in der Filmographie zählt.

Erfreulich bei interfilm war mithin der Trend zu selbst gemachten unterhaltsamen no-budget Streifen bei den Gewinnern. Selten konnten Jurys so überzeugen. Dementsprechend gelungen mutete die Abschlussvorstellung an.
Nun sehen Sie Folgendes
Nun sehen Sie Folgendes
Die Sensation war sicherlich der Gewinner der lärmenden eject-Veranstaltung für abwegigen Humor NUN SEHEN SIE FOLGENDES von Stephan Müller und Erik Schmitt. Darin kommentiert ein Sprecher eine Alltagsbegebenheit um einen jungen Mann mit Pappkuchen, dessen wartende Oma, sowie eine mysteriöse Filmschönheit und den obligatorischen Detektiv, der den Mann verfolgt. Was hat er denn verbrochen? Warum tarnt er sich mit weißer Kleidung im Schnee?
Der Film nimmt sich selbst nicht ernst und man hört den Sprecher über Kameraeinstellungen und das Stativ im Bild schmunzeln. Inspiriert wurde dieses Kleinod gewiß von einem 2007 beim Berliner KinoKabaret entstandenen sehr ähnlichen Kurzfilm. In Leopold Leskovars FILMFEHLER belehrte uns ein von Marten Münzberg verkörperter Erzähler bereits über Achsensprünge, Detailveränderungen im Schnitt oder andere (un)absichtliche Patzer anhand einer nachgestellten Seifenoperszene mit der griechischen Schauspielerin Anatoli Tsampa.

Stephan Müller gewann übrigens nicht nur die 1.000 € beim interfilm Publikumspreis eject, sondern kürzlich auch noch den mit 30.000 € dotierten Deutschen Kurzfilmpreis in Gold. Das ist die höchstmögliche Auszeichnung für Kurzfilme in diesem Lande. Endlich mal ein Preis, der die Produktionskosten des Films ums hundertfache übersteigt und bei dem Entscheider und Festivalpublikum dakor gehen. Bravo! Müller machte ja bereits auf vielen kleineren Festivals Furore mit seinem feinen Humor und putzigen Fotofilmen; er drehte auch Werbefilme und Trailer. Jetzt darf man sicherlich auf weitere Werke von seinem Team hoffen.
Gran CarreraDen besten internationalen Wettbewerbsfilm sah die Jury in LA GRAN CARRERA von Kote Camacho. Darin wird ein Pferderennen gezeigt in künstlich auf antik getrimmten schwarzweiß Bildern. Obwohl das Publikum im Film anfangs geschockt ist, weil die Reiter allesamt in der Startbox am Galgen baumeln, fängt sich die Menge zum Ende des Rennens und fiebert wieder mit den rasenden Pferden mit. So sind die Menschen eben manchmal.
Auch hier sprach der spanische Regisseur bei der Preisverleihung darüber, dass der Film viel weniger als die vom Medienboard Berlin-Brandenburg gespendeten 6.000 € Preisgeld gekostet habe. Hut ab für die freie Filmszene, die statt mit teurer Technik mit Ideenreichtum punktet. Das ermutigt gewiss viele, die unter Fördermittelmangel leiden. Kurzfilme macht man selten aus Profitinteresse, von Werbung und Musikvideos abgesehen.
AtlasSogar im Deutschen Wettbewerb setzte sich mit ATLAS von Aike Arndt ein putziger kleiner 2D Animationsfilm gegen zahlreiche anstrengende Schauspielfilme durch. ATLAS hatte ein sehr überschaubares Team. Während die griechischen Götterpüppchen im Olymp (einem kleinen Tempel) feiern, schultert Atlas den ganzen Kosmos. Ab und an rutscht ihm die Last weg, woraufhin der Olymp wackelt und Zeus den Hermes herunterschickt, um Atlas zu helfen oder zu maßregeln. Eine Hubschrauberschildkröte ohne mythologisches Pendant begleitet Hermes als Werkzeugkiste. Sehr putzig! Einer der Zeusblitze löst dann unabsichtlich die Evolution aus. Zu Atlas Füßen krabbeln Urtiere aus dem Wasser, werden zu Sauriern und schließlich Menschen, die in Zeitraffer bis zu Wolkenkratzerbauern heranwachsen. Arndt weist mit seinem Zeichentrick darauf hin, dass man nicht immer auf seine Macht pochen und delegieren sollte sondern manchmal auch selbst mithelfen könnte, um die Welt zu balancieren. Immerhin 2.000 € durfte der Regisseur    entgegennehmen.

Auf einer Exkursion zur Filmtonpostproduktionsfirma ROTOR FILM in Potsdam Babelsberg bekamen die Teilnehmer bei einer Hausführung Einblicke in die Arbeit von Geräuschemachern und Filmtonmischmeistern. Wir hörten einem Mann am Mischpult zu, wie er den schweizer Tatort mit der deutschen Tonspur mischte. In einem Kino vor Ort bewunderten wir ein riesiges Mischpult, auf dem ein französischer Filmtrailer für die kommerzielle deutsche Auswertung vorbereitet wurde. Derart große Filmtonstudios sind sehr rar in Europa. Der Ausflug lohnte sich für alle, die guten Ton im Film schätzen und vielleicht noch die passenden Experten dafür suchen!
SuikerDie internationale Jury kürte den Niederländer Jeroen Annokkée mit SUIKER (Zucker) zum Spielfilmgewinner. Der Preis umfaßt Postproduktion im Wert von 8.000 € von Rotor Film. SUIKER handelt von einem Unglück, dass der leichtbekleideten Nachbarin des Protagonisten widerfährt. Sie fällt die steile Treppe im Haus hinunter und der Nachbar kommt in zweideutige Schwierigkeiten. Rasant und urkomisch punktet diese schwarze Komödie mit einem Gaggewitter ohne viele Worte aber mit um so mehr Haut und Peinlichkeiten.

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Léo l'impassible
Léo l'impassibleSogar ein KinoKabaret-Film schaffte es dieses Jahr in den internationalen Wettbewerb. LÉO L’IMPASSIBLE von Nicolas Apicella aus Montreal zeigt uns ein typisches amerikanisches Restaurant. Alle Gäste haben nur eine Grimasse. Zwei Freunde unterhalten sich über eine skurrile Apparatur, die nach belieben Gesichtsausdrücke produzieren kann und so mehr Ausdrucksmöglichkeiten schafft. Zwar sind die Resultate beim Prototypen noch recht krude, aber immerhin kommen sich Leo und seine schüchterne Herzensdame so näher. Der Charme dieser Komödie liegt in originellen Fratzen und liebevollen Details, der knappen Handlung und den bunten Bildern. Das beeindruckt umso mehr, wenn man weiß, dass der Film innerhalb von 3 Tagen ohne Budget beim KinoKabaret Montreal entstand, der Geburtsstätte der weltweiten Kino-Bewegung!

Al servizio del cliente

Al servizio del cliente

Wer nachts einkauft, findet oft menschenleere Supermärkte vor. Das kann angenehm oder beängstigend sein. Einem motivierten Team von Angestellten eines solchen Landens kam die Idee, dem Liebeszufall der Kunden etwas nachzuhelfen. In WE LOVE OUR CLIENTS von Giuseppe Tufarulo aus Italien bauen Verkäufer und Regalauffüller unter der Ägide des Sicherheitschefs an den Überwachungskameras für die einsamen Kunden einen Parcours auf, der sie zusammenstoßen lässt. Dazu spielt romantische Musik. In nur 5 Minuten entfaltet dieser Kurzfilm ein sehr putziges Konzept und hinterlässt beim Publikum ein breites Grinsen.
Zu weiteren Höhepunkten des Festivals zählten: LUMINARIS von Juan Pablo Zaramella,  NU von Alexandre Tisseyre, HACKNEY LULLABIES von Kyako Miyake, HOW TO RAISE THE MOON von Anja Stuck, THINGS YOU’D BETTER NOT MIX UP von Joost Lieuwma, TECLOPOLIS von Javier Mrad sowie DIE ÜBERFISCHUNG DER MEERE von Uli Henrik Streckenbach.