25. Februar 2016

Berlinale 2016 Abschlussbericht



Wir sind alle seltsam
von Dave Lojek

Auch 2016 konnte man mit Glück, Erfahrung und Spürsinn gute Filme auf der Berlinale entdecken. Zwar dominierten dramatische Arbeiten und die Flüchtlingskrise das größte Filmfestival der Welt, aber es gab auch Unterhaltsames oder Verschrobenes. Merryl Streep saß der Jury vor im Wettbewerb, dem allerdings der Pepp fehlte. Arbeiten vom gesamten Filmglobus rotierten durch die Kinos und füllten den Zuschauern die Köpfe mit neuen Bildern der Uneindeutigkeit und den Veranstaltern die Taschen, damit er Zirkus weitergehen kann. Abgeschirmt vom Endverbraucher redeten sich Produzenten und Verleiher, Einkäufer und Studenten die Köpfe heiß auf dem Filmmarkt und bei den so genannten Talents, von denen später einige mit Filmen auf das Festival zurückkehren werden. Gefeiert wurde auch viel, weswegen man ja eigentlich kommt. Aber schauen wir kurz auf einige Filmtitel:

Klarer Favorit war diesmal ALOYS von Tobias Nölle aus der Schweiz in der Panorama-Sektion. Georg Friedrich läuft darin als eigenwilliger Detektiv und Titelheld zur schauspielerischen Höchstform auf. Gleich zu Beginn muss Aloys den Tod seines Vaters verarbeiten, indem er wie gewohnt mit einer antiken Videokamera heimlich Menschen filmt. Als er nach missglückter Observierung ohne seine Videosammlung aufwacht, beginnt ein Abenteuer, das diesen verschlossenen Kerl aus der Reserve und in eine Fast-Romanze lockt. Seine Nachbarin (Tilde von Overbeck) hat auch einen ulkigen Tick: Sie klaut im Zoo einige Tiere und stellt sie in ihre Wohnung. Was ist ihr Geheimnis? Es macht große Freude, diesen beiden Sonderbaren bei ihrem Gebaren am Telefon und dann auch in vorsichtiger Annäherung zuzuschauen. Schweizer Humor.

Bekannte Namen schmücken Rebecca Millers Komödie MAGGIE’S PLAN. Dieser besteht darin, sich ein Kind machen zu lassen in New York per Spermaspende. Greta Gerwig schafft es als quirlige Dozentin Maggie, sich den Kollegen Ethan Hawke zu schnappen, der aber schon eine eigene Familie mit Julianne Moore hat, die diesmal recht sonderbar spielt. In einem sozialen Experiment versucht sich Maggie an der Optimierung jeder Person, mit der sie verbunden ist. Kurz gesagt geht es also um Beziehungen abgehobener Großstädter und deren Neurosen in diesem Panorama-Beitrag, so wie bei Woody Allen. 

Wer es etwas härter mag und gerne expliziten schwulen Sex im Kino schaut, dürfte die ersten 10 Minuten aus THEO & HUGO (Teddy Publikumspreis) von Oliver Ducastel erquickend finden. Man folgt dem jungen Mann Theo (Geoffrey Couët) in einen dunklen Sexclub und bekommt viel nackte Haut zu sehen. Nach Gestöhne und Penetrationen kommt auch schon der inhaltliche Bruch. Der Rest des Films ist dann eine wie in Echtzeit anmutende Wanderung durch das nächtliche Paris. Theo und Hugo (François Nambot) mögen sich, aber stellen fest, dass sie ungeschützten anonymen Sex hatten und schnell in einem Krankenhaus eine Anti-Aids Spritze brauchen, denn einer von ihnen trägt den Virus in sich. So entsteht Dringlichkeit. Auf dem Weg ins Krankenhaus verlieben sie sich und man entdeckt die französische Hauptstadt auf ungewohnte Art. Vor wenigen Jahren begann der französische Schauspieler Geoffrey Couët auf dem Internationalen Berliner KinoKabaret in Kurzfilmen seine Filmkarriere. Man darf gespannt sein, was nach dieser mutigen Darstellung als Nächstes kommt. Vom kleinen zum größten Filmfest ganz flink: Respekt!


Michael Moore reiste 2015 durch Europa, um seinen amerikanischen Landsleuten vorzuführen, welche zivilisatorischen Errungenschaften ihnen entgehen. Das ist keine neutrale Dokumentation, sondern eben eine politische Erweckung. In WHERE TO INVADE NEXT aus dem Berlinale Special lernen wir, dass es in Italien bezahlten Urlaub gibt, leckeres Schulessen überall in Frankreich, keine Hausaufgaben und nur 4 Unterrichtsstunden für finnische Schüler, gleichgestellte Frauen in isländischen Führungspositionen und legale Drogen in Portugal. Auch dürfen in Slowenien Ausländer gratis studieren und die Deutschen mühen sich um eine korrekte Vergangenheitsbewältigung. Zum Vergleich zeigt Moore dann auch Bilder von amerikanischem Schulessen, das vor allem aus Zucker und Fett besteht. Diese Collage malt vielleicht ein etwas zu rosiges Bild von Europa, denn Italien ist extrem Pleite und Portugal ebenso. Es wird also auch hier ordentlich gelitten, was sich in einem politischen Rechtsruck zeigt. Da aber bald die Amtszeit des fortschrittlichen Präsidenten Obama in den USA endet, kann man eigentlich nur die Amerikaner bedauern, denen viele der von Moore gezeigten Errungenschaften unter einem Donald Trump noch lange fehlen werden.

Weitere sehenswerte Kinofilme kurz notiert:

In MIDNIGHT SPECIAL muss ein Vater seinen Sohn vor vielen Gefahren schützen, denn er hat eine ganz besondere Gabe. Ein düsterer Road-Movie um Sekten und Medien, der sich zur Science-Fiction entwickelt mit Michael Shannon und Kirsten Dunst. Das Ende entschädigt für die Schlichtheit am Anfang.

Die Coen-Brüder widmen sich in HAIL, CESAR! dem Hollywood der 1950er und zeigen den alltäglichen Wahnsinn eines Studiobosses. Eddie (Josh Brolin) muss sich mit dem verschwinden seines Stars (George Clooney) herumschlagen, der gerade von Kommunisten entführt wurde, sich bei denen aber gut amüsiert. Reporterinnen (2x Tilda Swinton) gehen Eddie auf den Geist, während in seinen Studios Musicals und Western am Fließband produziert werden. Gewohnt unterhaltsam wenn auch weniger originell als früher liefern die Regisseure eine Hommage und Parodie auf die Filmwelt ab. Ein passender Eröffnungsfilm für die Berlinale.

Colin Firth spielt in GENIUS den geduldigen Lektor Perkins, der sich mit den chaotischen und weitschweifigen Ergüssen des unbekannten Autors Thomas Wolfe (Jude Law) auseinandersetzt, um sie in eine Buchform zu verwandeln im New York der 1920er. Das Gespür des Lektors und ein langes Ringen um Konsistenz zeigen uns, dass Bestseller nicht einfach vom Himmel fallen.