26. Februar 2013

Berlinale Panorama 2013

von Dave Lojek

DON JON'S ADDICTION · ROCK THE CASBAH · CONCUSSION · UPSTREAM COLOR

Don Jon's Addiction
Passend zum Hauptthema Sex auf der 63. Berlinale darf man Joseph Gordon-Levitt in DON JON'S ADDICTION beim Wichsen beobachten. Sie lesen richtig. Der Playboy und Frauenbewerter Jon reißt jedes Wochenende in der Disko die heißesten Schnecken auf. Allerdings hat die Pornosucht ihn fest im Griff, weshalb er mehrmals täglich, teilweise direkt nach echtem Sex, seinen Laptop aufklappt und masturbiert, was sehr einprägsam und witzig durch ein Tonsignal und die Landung eines Papiertaschentuchs im Müllkorb markiert wird. Suchtroutine. Jon argumentiert wie auch James Franco in INTERIOR. LEATHER BAR, dass jeder Mann heutzutage Pornografie konsumiert. Er vergisst zwar die Rentnergeneration und Absitenzler, aber wir lassen die schlichte Aussage anhand gigantischer Klickzahlen auf Internetpornos gelten. Soweit zum Realitätsbezug. Der Film zeigt jedoch weder Geschlechtsteile der Schauspieler noch explizite Internetbilder, um nicht allzu streng zensiert zu werden. Europäische Kollegen des Jungregisseurs werden ihm deswegen Feigheit vorwerfen, aber wer einen Film verkaufen möchte, hält sich besser an die prüden Spielregeln. Sein Zielpublikum versteht die Andeutungen sicher.
Jon wetteifert mit seinen Freunden beim Einordnen von Diskomädchen in eine Skala. Darüber debattieren die Männer heftig, was zugleich ihren geistigen Horizont markiert. Die Erfolgsquote der Hormonbolzen gibt ihnen Recht. Die unvermeidliche dramaturgische Wendung erscheint in Form der Übertussi Barbara (Scarlett Johansson), die unseren Wichsweltmeister erpresst: Will er eine Beziehung mit ihr, muss er seiner Sucht entsagen und einen Abendkurs besuchen. Aber es wäre ja keine Sucht, wenn sie sich so leicht ausschalten ließe durch bloßen Befehl. Bei der wöchentlichen Schnell-Beichte in der Kirche berichtet der Don immerhin stolz, nur noch realen vorehelichen Sex zu haben.
Nach dem Abendkurs begegnet der Verliebte der seltsamen Dame Esther. Die von Julianne Moore gespielte Figur ist fast doppelt so alt wie er und scheint in einer psychischen Krise zu sein.
Wie meistert Jon die Herausforderung, Barbara seiner Familie vorzustellen? Warum kontrolliert sie ihn? Warum benimmt sich Esther so eigenartig? Was lernt unser trotteliger aber schnieker Held?
Anstatt den ganzen Film nachzuerzählen, sei hier noch auf den knackigen Schnitt und das erfreuliche Gag-Timing hingewiesen. Wer amerikanische romantische Komödien mag mit einfacher Dramaturgie, ist in diesem Film gut aufgehoben. Man erfreut sich an Gastauftritten und der kleinbürgerlichen Weltsicht, oder wartet auf die Nacktszenen. Der Schauspieler Joseph Gordon-Levitt landet mit seinem Spielfilmregiedebüt direkt auf der Berlinale. Davon träumen tausende Nachwuchskünstler mit weniger bekannten Namen oder Beziehungen in der Branche. Deren erste Gehversuche laufen - wenn überhaupt - nur in den Berlinale Sektionen PERSPEKTIVE oder FORUM. Wer es gerne etwas ernster oder experimenteller hat, schaue sich lieber einen der anderen Panoramabeiträge an!
     
Wertung: * * *


Rock the Casbah

Zu den relevanten Entdeckungen der Berlinale Programmgestalter gehört sicherlich ROCK THE CASBAH von Yariv Horowitz aus Israel. Eine Gruppe blutjunger Rekruten soll 1989 im Gaza-Streifen patrouillieren. Ihnen wird eingebläut, nur Gummigeschosse zu benutzen. Als Besetzer schlägt den Soldaten von der palästinensischen Bevölkerung großes Unbehagen und sichtbare Ablehnung entgegen. Ein kleiner Junge schießt mit dem Finger auf Tomer, den Frischling der bewaffneten Einheit. Nachdem Steinwerfer die Kompanie auseinandertreiben und verärgern, töten drei Jugendliche den Soldaten Iliya mit einem gezielten Waschmaschinenabwurf von einem Dach. Sie entkommen. Der Kommandeur ordnet daraufhin an, viele Verdächtige festzunehmen und zu foltern. Die Mütter klagen. Vier Rekruten müssen nun auf dem Dach kampieren um die Täter zu identifizieren. Das behagt der in diesem Haus lebenden muslimischen Familie keineswegs, denn die Soldaten benehmen sich rüpelhaft und die Familie fürchtet, als Kollaborateure zu gelten. Aki, Ariel, Haim und Tomer vertreiben sich die Wartezeit mit Rockmusik, aber die Lautsprecher des Muezzins übertönen den popligen Kassettenrekorder mit nervigen Alahu-Akbar Klängen.
Tomer kritisiert den Militäreinsatz offen, weshalb er natürlich seinen Offizieren auffällt. Er hat noch zwei Jahre Zwangsdienst vor sich in einer Stadt, die vor Guerillakämpfern strotzt. Einige Soldaten vergessen in ihrer Machposition schnell ihre Manieren, weshalb es ständig Zoff gibt. Die Eskalation scheint unvermeidlich, als der Kommandeur scharfe Munition anordnet.
Das besondere an diesem sehenswerten Antikriegsfilm ist seine Entstehungsgeschichte, die sich über 20 Jahre hinzog. Regisseur Horowitz berichtete dem Publikum, dass er Kriegsfotograf war in den frühen 90ern. Kameraden um ihn herum wurden traumatisiert vom Konflikt. Sein Filmprojekt wollte lange Zeit niemand in Israel anfassen oder finanzieren. ROCK THE CASBAH gilt jetzt als erster israelischer low-budget Kriegsspielfilm zu diesem heiklen Thema. Bisher gab es nur einen Animationsfilm darüber. Erfreulich: Arabische Länder bekunden ihr Interesse am Kinoverleih. Horowitz hat zwar keine Lösung für den Palästina-Konflikt, aber keine Seite wird ihn gewinnen können mit militärischen Mitteln. Wie jeder Antikriegsfilm verdeutlicht auch dieser die Sinnlosigkeit des Tötens, die zu einer Spirale aus Hass, Rache und mehr Gewalt anwächst. Horowitz betonte auch die Gefahr, die von Religionen und Ideologien ausgeht, welche als Vorwand für das Verstümmeln junger Seelen instrumentalisiert werden. Eine Generation Traumatisierter wandelt durch das heilige Land. Sie soll die letzte sein.

Wertung: * * * *


In CONCUSSION beschreitet die 42-jährige Abby nach einem kleinen Wachrüttler neue Lebenswege. Sie beginnt ein Renovierungsprojekt in der Großstadt und lädt sich Edelprosituierte ein. Ihrer Frau und den Kindern in der Vorstadt sagt sie davon nichts. Stattdessen lässt Abby sich von ihrem Handwerker überreden, selbst für viel Geld mit anderen Frauen zu schlafen. So lernt sie viele reiche und verschrobene Charaktere kennen. Mit einigen ist der Sex toll, aber mit den meisten eher ein Ventil.
Concussion
Wir erleben eine Welt voller Luxusgüter und überzogener Charaktere, die vielleicht typischer für Amerika sind als für Europa. Die Filmzutaten aus Geheimnis, Lust, Experiment und Beziehungssorgen mischt CONCUSSION recht ansehnlich zusammen.
Auch Lesben aus der Oberschicht haben Lebensmittekrisen, scheint uns die Regisseurin Stacy Passon sagen zu wollen. Es wundert nicht, das dieser Film im PANORAMA der Berlinale läuft, worin sich ein gefühltes Drittel des Programms mit den sexuellen Ausrichtungen der Protagonisten jenseits der Heterowelt befasst. Ob die Zielgruppe größer als die unmittelbaren Protagonisten ist, kann man schwer abschätzen.
Weder wird hier expliziter Sex abgelichtet mit sichtbaren Vaginas, noch finden sich passable Antagonisten. Dazu wählt Passon einen zu realitätsnahen Rahmen, der wenig fiktiv wirkt. Man könnte das als filmkünstlerische Stärke sehen. Wer jedoch etwas mehr Spannung oder Stimulus, Wagnis oder ein konkretes Ende im Kino wünscht, könnte leicht enttäuscht werden.

Wertung: * * *


Upstream Color
Die erzählerische Zumutung erwartet uns in UPSTREAM COLOR. Hier erlebt man eine undurchsichtige Handlung ohne klares Genre und bildverliebtes Herumdrucksen um einen Plot. Das mag daran liegen, dass sich der unsympathische Filmemacher Shane Carruth übernahm, der im Berlinale-Katalog als Kultregisseur gepriesen wird, obwohl er nur einen anderen Film drehte. Er schrieb, produzierte, drehte und schnitt seinen neuen Film selbst, denn er gestand dem Festivalpublikum, ein Kontrollfreak zu sein. Das allein muss noch nicht schlecht sein.
Worum geht es? Die wunderschöne Produktionsassistentin Kris (Amy Seimetz) gerät in einer Bar in die Fänge des Manipulators, der sie mit einem Drogenwurm willenlos macht und ihr gesamtes Geld klaut, nachdem sie Buchpassagen abschrieb aus WALDEN. Sie hebt alle Ersparnisse für ihn von allen ihren Konten ab und verkauft sogar die Goldmünzen, um damit ihre angeblich entführte Mutter freizukaufen. Dann verschwindet der Dieb komplett aus der Filmhandlung und Kris wird von einem Tonfetischisten operiert, der eine Transplantation mit einem Ferkel vollzieht. Schon trifft Kris auf Jeff, den der sparsame Regisseur gleich selbst spielt. Sie beginnen eine wirre Beziehung und erleben ihren Drogentrip, sehr wenig Sex. Dann finden sie noch andere, die vom Manipulator ausgenommen wurden. Kris erschießt den Schweinemann und baut eine Beziehung zu ihrem Ferkel auf.
Ein optisch guter Trailer lockte mich in diesen Film und mein eigener Kurzfilmtitel UPSTREAM. Ohne die Erklärungen des Regisseurs bliebe mir jedoch ein Großteil der intendierten Handlung verborgen. Das kann sowohl an meinem Filmgeschmack als auch an narrativen Schwächen liegen. Carruth wollte eine Gesellschaft zeigen, in der alle von etwas hypnotisiert werden und nur sehr langsam entdecken, was mit ihnen passiert.
Weder über das Filmbudget noch über die verwendete Kamera oder die Objektive wollte sich der Regisseur äußern. Die Bilder wirken wie in einem nicht enden wollenden Musikvideo. Wer gerne lange Experimentalfilme schaut und sphärische Musik hört, könnte UPSTREAM COLOR genießen. Sagen wir einfach, dieser Streifen ist sehr speziell, auch wenn ihn die Festivals mögen. Zumindest ein Wagnis gegen den Einheitsbrei.

Wertung: * *

17. Februar 2013

FILMthuer Festival Jena 2013


Zuckerguss auf dem Wohlstandskuchen

von Dave Lojek

http://www.filmthuer.de/index_htm_files/201.jpgWas beschäftigt die freien Filmemacher Thüringens? Womit setzen sich Weimarer Studenten oder Jugendliche in zahlreichen Medienwerkstätten auseinander? Auf dem vorzüglich organisierten und reichhaltig kuratierten 9. FILMthuer Festival konnte man sich am Wochenende darüber im zum Veranstaltungssaal umgebauten Volksbad Jena informieren. Von verschneiten Feldern, aus muffeligen Studierzimmern und den Wohnblocks Lobedas zog es die Cineasten und Regisseure zum Paradies für Vielfalt aus Klangbildern und Figurenschach. Ein Rahmenprogramm aus Tänzerinnen und der Damenkapelle Klatschmohn animierte die KulturfreundInnen zum Applaudieren. Eintritt frei! Offerten zum Grübeln eröffnete das Fest; es lud zum Kichern, Träumen, Wundern ein.
Die ausgiebige Tauchfahrt in die Gehirne der Medienschaffenden und Drehbuchautoren aus Deutschlands Mitte ermöglichte Bullaugenblicke in Dramen, Dokumentationen, Delirien und Durchdachtes. Hier finden Sie das Programm und die Preisträger: www.filmthuer.de

In der Tat bot dieses Fest eine riesige Auswahl für viele Geschmäcker und
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RALLE & BOLLE (Animation) von Winfried Bellmann
Zielgruppen. Kinder und Familien unterhielten sich köstlich bei exzellenten Zeichentrickabenteuern der putzigen Hamster. Kunstliebhaber und Kenner der experimentellen Szene freuten sich über abstrakte und rätselhafte Werke bar jedes Erzähldrucks. Erfreulich viele flüssige Spielfilme erreichten ihr Publikum, denn die Studentenfilmquote betrug 16 %. Applaus erklang fast im Minutentakt aus der Halle. Auch wenn der Emotionspegel wirklich berührter oder verärgerter Zuschauer nur ums Normalmaß tendierte, kann dieses Filmfest als Erfolg gewertet werden. Wo sonst bekommen Filmer direkte Reaktionen und Fragen zu ihrer Arbeit? Lernen am Publikum lautet die Devise.
In einer kleinen Stadt wie Jena finden nur drei jährliche Kurzfilmveranstaltungen statt. Dementsprechend motiviert und begeisterungsfähig zeigt sich das ausgehungerte Publikum. Ganz anders dagegen ist Berlin, wo sich über 70 Filmfeste aller Kulör in nur 52 Wochen drängen und die Überfütterung mit 1000 weiteren Veranstaltungen pro Tag kulturell desensibilisiert. Aber dieses Klagen auf hohem Niveau zeigt, dass Deutsche mehr als nur Krieg und Völkermord vermögen (wie in Peter Weidigs Weimarer Dokumentation NUR EIN PAAR KILOMETER vom Stadtführer und einem KZ-Gedenkstätten-Pädagogen erklärt wird). Wir sind lernfähig. Massen wollen sich unablässig (ein)bilden und gerne verkopft herumdoktern an ihre Problemchen. Manch politische Filmübung sah man in Jena und vor allem eine große Lust am Leitmedium. Diese bringt viel Halbgares hervor, aber ich langweile mich allemal lieber im Kino, als von Soldaten beschossen, von Agenten gefoltert oder Sklavenhändlern ausgeweidet zu werden in anderen Regionen dieses Planeten. Welch wohliger Kokon die Filmwelt ist, welch Zuckerguss auf dem Wohlstandskuchen, solange man sich nicht verkaufen muss.

Die organisierten Filmer des Bundesverbands Deutscher Film-Autoren (BDFA) nutzten diese Leistungsschau, um sich für Bundesfestivals in vielen Genres zu qualifizieren. Nur 4 von 64 Regisseuren gingen ohne einen Preis heim. Insofern honorierte das Festival im Prinzip jeden und jede, was zur Politik des Verbandes gehört und regelmäßig die Nicht-BDFAler verwundert, gar zum Spott verleitet. Es gibt immer mehrere dritte, zweite und erste Preise und ettliche Sondergewinner in Genres und Sparten. Statt Logik oder Mathematik herrschen in dieser Kulturnische Freigiebigkeit, Wettbewerbspossen und Aufmunterungstaktik zur Mitgliederbindung. Aber auch die Berlinale denkt sich ständig neue Preise und Trophäen aus. Man liegt damit also im Trend.

Besonders erfreut und überrascht war die 24-jährige Denise Blickhan. Sie gewann die Goldene FILMthuer samt Trophäe und Weinflasche, den 1. Preis in der Jurywertung und den Publikumspreis im Amateurbereich für ihre experimentelle Tanzperformance ASTARTES SCHLAF. Als ihr Erstlingswerk erdachte, drehte und schnitt Denise den Film in nur 30 Stunden im Herbst 2012 beim alljährlichen KinoDynamiqueJena Workshop. Der Videoclip zeigt sie selbst in einem altertümlichen Kleid auf einem Stuhl in einem schwarzen Raum. Ihre Hände schlängeln sich von ihr weg, Videoeffekte beleuchten und verfremden den Tanz zu melancholischer Musik. Der Preisregen und die Delegation zum FanTex Bundesfestival spornt die Kunststudentin Denise gewiss zu weiteren Kurzfilmdrehs an. Sie wäre eine Bereicherung des Verbandes, wie so viele unverbrauchte Jungfilmer hier.
Als Jurymitglied hatte ich die Ehre, mit Experten des BDFA über die Kreationen zu debattieren. Sonderpreise und Trophäen durften nur an Anwesende gehen. Also verscherzten sich viele ihre Preise durch Abwesenheit. FILMthuer gilt als Schleuse für Studentenfilme auf dem Weg in und durch die Amateurszene, weshalb diese zumeist sorgsam erdachten und geschickt produzierten Werke oft bis zu den Weltfilmfestspielen der UNICA gelangen und so das Land repräsentieren. Allerdings beklagen sich Amateure regelmäßig, dass sie mit den Produktionsmitteln und von Dramaturgen korrigierten Arbeiten alleine nicht mithalten können. Das stimmt. Aber ohne ansehnliche Studentenfilme flösse noch weniger junges Blut durch den von Überalterung beherrschen Verband. Durch Veränderung wird aber nichts verwässert, sondern destilliert.
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APOCALYPSE NOW (Musikvideo) von Florian Arndt
Sie bemerken meine Wortwahl zum Thema Flüssigkeiten. Ich spreche vom Volksbad, Tauchfahrten und Blutfluss.
Tatsächlich ergoss sich auch in manchen Filmen Blut wie ein ROTER FADEN, das schlichte Lebenselixier. Oder man behauptete, dass Liebe DICKER ALS BLUT ist, wenn ein lesbisches Ehepaar sich für seine Tochter rechtfertigt, die ein schwuler Freund zeugte.
Die Saale war erfrischender Drehort für meine eigene Komödie PARADIESWEHR, die Immobilienmauschelei entlarvt.     
Ein Greis berichtet über seine Zeit bei der Kriegsmarine im U-Boot 433 und seine Gefangenschaft in kanadischen Lagern. Der Enkel recherchierte vorbildlich. Das poetisch-theatralische Tryptichon OPHELIA eröffnet mit Flussbildern, gewann den Kamerasonderpreis und einen ersten Jurypreis. Auf ein Gesicht in Florian Arndts Musikvideo APOCALYPSE NOW klatscht Wasser. Steffan Fratte fragt direkt: WANN KOMMT DIE FLUT, denn seine Strumpftiere verpassen die Arche Noah. Josefine sitzt auf einem Steg hinter dem langweiligen Campingplatz neben einem Jungen und weiß: GIRLS DON'T CRY. Aus einem Tintenklecks erwachen eine Tanzmotte und ein Feuervogel in LUSYDA, um im Liebestaumel zu verbrennen.
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ICH SEHE ALLES (Spielfilm) von Georg Pelzer
Blutlos hingegen staksen die Marionettenzombies durch das Musikvideo MENSCHENFRESSER, um hirntot ihrer Einöde zu huldigen. Apropos: In der exzellenten Antimation CROSSOVER bekehrt eine große Kreuzspinne mit Tamtam und gleißendem Licht viele hypnotisierte Feuerkäfer. Welch gelungenes Simile zur fadenscheinigen Religion. Endlich sind wir nicht mehr Pabst.
Zurück zu den Ausgangsfragen: Magie und Beziehungen standen im Fokus der Filmemacher Thüringens; Alltag und Zitate trieben sie um. Es wurde verstrahlt, gemalt, geaalt und bezahlt. Der Bogen spannte sich von Sport und Ästhetik über Stalkingvorwürfe und Basteleien bis hin zu Künstlerbiographien, Generationenkonflikten und generischen Formübungen in Werbung, Musikvideo und Weltuntergängen. Menschen scheuten und trauten sich; sie telefonierten, tanzten, tätschelten.

Warum entstehen diese Filme? Sie sind Aufgaben von Filmprofessoren, Spielereien mit Kameras, Momentaufnahmen und Versuche. Sie wollen erzählen oder verwirren. Aufmerksamkeit wünschen sie sich und probieren es mit Bildsprache und Musik. Oftmals kongruiert die Intention ungenügend mit dem Anspruch und der Umsetzung. Gelegentlich misslingt Unterhaltung oder die Mittel widersprechen der Botschaft. Kurzfilm als Experimentierlabor schärft die Kunstfertigkeit und das visuelle Handwerk. Das Laufpublikum schert sich wenig um ungleiche Produktionsbedingungen oder Prämierungen. Es erwartet Kinokultur und lernt, wie wenig es durch Fernsehen und industriellen Kommerzspielfilm von der Welt mitbekommt, von den Nachbarn, den Randgruppen, Sportlern (wie in BERGLINE von Marcus Lauterbach).
 
FILMthuer zündet insbesondere der kreativen Jugend eine Fackel an, die sie olympisch in das Land tragen sollte. Die berüchtigten ergrauten Herren präsentieren zwar auch hier ihre Werke frühmorgens, aber die erfreuliche Durchmischung der Altersklassen bewirkt, dass Perspektiven sich verschieben, dass viele Stimmen erklingen in diversen Frequenzen und Melodien im Schwimmbad der Fantasie.
Wenn Sie einen Feuerkäfer beten sehen, suchen Sie die Spinne! Erzählt Ihnen jemand ein Gedicht, küssen Sie ihn! Haben Sie Kinder, hören Sie zu und beschützen Sie sie! Wollen Sie Liebe, werden Sie liebenswerter und akzeptieren Sie sich selbst!

12. Februar 2013

BERLINALE 2013 FOTOS

von Dave Lojek

Wieder feiert sich die kommerzielle Filmszene in Berlin und bietet Unterhaltung für viele Geschmäcker. Alle Informationen zu Filmen, Karten und Festlichkeiten bietet die Berlinale Webseite.
Die Menschen drängeln sich in überfüllte Kinosäle. Sie reisen an aus der ganzen Welt. Viele möchten einen Blick erhaschen auf die Stars oder gar ein Foto machen. Die Teppiche sind rot und die Gesichter strahlen. Der Kälte trotzen die Autogrammjäger. Ein Heer aus Helfern, Kellnern, Journalisten und Fahrern rotiert rund um die Uhr. Besonders unbekannte Filmemacher dürfen dieses Jahr das Festival zur Aufwertung ihrer Lebensläufe benutzen. Die Gremien pickten sich aus vielen tausend Einreichungen die Rosinen nach Themenschwerpunkten heraus und das Publikum bezahlt brav die Karten. Osteuropa und Asien sind stark vertreten, ebsenso amerikanische Independents. Die Berlinale kostet nur 22 Millionen Euro, wobei ein Drittel der Staat bezahlt. Sehr viele Helfer engagieren sich wohl ehrenamtlich. Tauchen wir in den Filmrausch ein!

Yasemin Şamdereli

Man kann in den Nebenveranstaltungen gut studieren, wie sich bestimmte Gruppen und Charaktere präsentieren lassen, abschotten oder öffnen. Manche Eliten bleiben unter sich im Co-Production Market, andere lassen die Massen an sich heran.
Im Talent Campus sprach Yasemin Şamdereli über ihre Erfahrungen als Regisseurin. Mit ALMANYA gelang ihr vor 2 Jahren ein unterhaltsames Familienportrait türkischer Gastarbeiter. Wir berichteten darüber. Derzeit sucht sie Senioren für eine Dokumentation über das Erste Mal. Wer also Urgroßeltern hat, die erst in der Hochzeitsnacht loslegten und darüber sprechen möchten vor der Kamera, sollte sich bei Yasemin melden!
  
Fredrik Bond
Fredrik Bond berichtete über die Dreharbeiten zu seinem Wettbewerbstbeitrag THE NECESSARY DEATH OF CHARLIE COUNTRYMAN mit Shia LaBeouf, Evan Rachel Wood und Mads Mikkelsen. In diesem Abenteuer verliebt sich ein unbedarfter Amerikaner in eine Rumänin und wird von deren Ex-Mann durch Bukarest gejagt, hat einen Drogentrip und schaut dem Tode ins Gesicht. Temporeich, amüsant, sehr zielgruppentauglich.
Den jungen Besuchern des Talent Campus riefen diese Regisseure zu, dass man einfach beharrlich seinen Weg gehen soll, sich die Zeit für Experimente und Fehler erlauben muss, um einen eigenen Stil zu finden. So lernt man am meisten. Das klingt abgedroschen, stimmt aber.
Kaum erwähnten sie den extremen Konkurrenzkampf um sehr knappe Ressourchen in der Filmindustrie und Filmförderung. Man möchte die jungen Träumer ja nicht entmutigen.

Hugh Hackman - Premiere von LES MISERABLES
Impressionen von Festival:

Gesangstalent Hugh Jackman freute ich über viel Applaus bei der Premiere von LES MISERABLES.



Ethan Hawke - Pressekonferenz BEFORE MIDNIGHT

Julie Delpy - Pressekonferenz BEFORE MIDNIGHT
Berlinale Kamera für Richard Linklater und seinen Film BEFORE MIDNIGHT
Christa Théret - aus RENOIR bei den SHOOTING STARS 2013