Triumph des kleinen Films über
Großbudgetproduktionen
Zum 27. Mal feierte sich im November die
internationale Szene auf Berlins wichtigstem Festival für Kurzfilme. Die
Leistungsschau der fleißigen Bastler und tiefgründigen Grübler, der
talentierten Unterhalter und frechen Schockierer mauserte sich über die Dekaden
vom Wohnzimmerfest zur stilbildenden Instanz. Dem weit gereisten
Festivalgründer Heinz Hermanns verdankt Berlin das alljährliche Erstarken einer
Mediengattung, die sich wie ein Chamäleon der Zeitgeschichte anpasst, bisweilen
dem Fernsehen und Kommerzkino weit voraus ist.
interfilm 2011 unterhielt und
überraschte, bewegte und beschallte das Publikum von ca. 16.000 Cineasten
(gemeint sind Eintrittskarten) und Fachbesuchern über 5 Tage. Die Zahl klingt
hoch. Allerdings gab es 110 Programmblöcke zumeist in kleineren Babylon-Kinos
und über 500 Akkreditierte, die zu allen Programmen umsonst Zugang hatten. Wie
viele Karten tatsächlich verkauft wurden, bleibt geheim.
Aus nur 7000 Einsendungen pickten die
gebeutelten Sichtungsrunden seit dem Frühling immerhin 500 Werke heraus, die
sie in Wettbewerben und Themenschwerpunkten wie Schweiz, Gewalt, Asien oder
Musikvideo bündelten zu mitunter recht langen Programmblöcken. Wie üblich bekam
man reichlich herkömmliches Material aus Filmschulen und von teuren
Produktionen zu sehen. Sauber strukturierte Dramen und liebevolle
Dokumentationen, kunstbeflissene Experimente und Animationen, Sendefähiges,
Skurriles und Absurdes. Zudem gab es virale Internetwerbeclips, frisch
gebastelte flinke Gruppenarbeiten, eine Netzwerkbörse und Partys mit Engel Angela.
Bei einer Kritikerrunde aus Journalisten
(Radio, Zeitung, Blogs) erfuhr man, warum es eigentlich fast keine regelmäßigen
Kurzfilmkritiken zu lesen oder hören gibt: Im kommerziellen Kino werden so gut
wie nie Kurzfilme gezeigt. Sie sind auf spezielle Festivals, Arte und Alex TV
sowie das Internet beschränkt. Obgleich beliebt und mannigfaltig (siehe vimeo
und Youtube), haben Kurzfilme als eigenständige Kunstform keine große Lobby und
sind oft nicht vermarktbar. Trotz intensiver Bemühungen seitens Initiativen wie
KURZ VOR FILM oder der KurzFilmAgentur bleibt Produktwerbung für Kinobetreiber eben
einträglicher.
Die Kritiker präsentierten jeweils ihre
Lieblingsbeispiele. Insbesondere der Animationsfilm HARVIE KRUMPET blieb mir dabei in Erinnerung, der mit
der Stimme von Geoffrey Rush die Lebensgeschichte eines traurigen polnischen
Einwanderers in Australien zusammenfasst. Keiner der Kritikerkollegen schien
selbst Erfahrung als Kurzfilmer zu besitzen. Da beurteilt man dieses Genre
natürlich anders als jemand, der wie ich über 100 eigene Werke in der
Filmographie zählt.
Erfreulich bei interfilm war mithin der
Trend zu selbst gemachten unterhaltsamen no-budget Streifen bei den Gewinnern.
Selten konnten Jurys so überzeugen. Dementsprechend gelungen mutete die
Abschlussvorstellung an.
Nun sehen Sie Folgendes |
Der Film nimmt sich selbst nicht ernst
und man hört den Sprecher über Kameraeinstellungen und das Stativ im Bild
schmunzeln. Inspiriert wurde dieses Kleinod gewiß von einem 2007 beim Berliner
KinoKabaret entstandenen sehr ähnlichen Kurzfilm. In Leopold Leskovars FILMFEHLER belehrte uns ein von Marten Münzberg verkörperter Erzähler bereits
über Achsensprünge, Detailveränderungen im Schnitt oder andere (un)absichtliche
Patzer anhand einer nachgestellten Seifenoperszene mit der griechischen
Schauspielerin Anatoli Tsampa.
Stephan Müller gewann übrigens nicht nur die 1.000 € beim interfilm Publikumspreis eject, sondern kürzlich auch noch den mit 30.000 € dotierten Deutschen Kurzfilmpreis in Gold. Das ist die höchstmögliche Auszeichnung für Kurzfilme in diesem Lande. Endlich mal ein Preis, der die Produktionskosten des Films ums hundertfache übersteigt und bei dem Entscheider und Festivalpublikum dakor gehen. Bravo! Müller machte ja bereits auf vielen kleineren Festivals Furore mit seinem feinen Humor und putzigen Fotofilmen; er drehte auch Werbefilme und Trailer. Jetzt darf man sicherlich auf weitere Werke von seinem Team hoffen.
Den besten internationalen
Wettbewerbsfilm sah die Jury in LA GRAN CARRERA von Kote Camacho. Darin wird ein Pferderennen gezeigt in künstlich auf
antik getrimmten schwarzweiß Bildern. Obwohl das Publikum im Film anfangs
geschockt ist, weil die Reiter allesamt in der Startbox am Galgen baumeln,
fängt sich die Menge zum Ende des Rennens und fiebert wieder mit den rasenden
Pferden mit. So sind die Menschen eben manchmal.
Auch hier sprach der spanische Regisseur
bei der Preisverleihung darüber, dass der Film viel weniger als die vom
Medienboard Berlin-Brandenburg gespendeten 6.000 € Preisgeld gekostet habe. Hut
ab für die freie Filmszene, die statt mit teurer Technik mit Ideenreichtum
punktet. Das ermutigt gewiss viele, die unter Fördermittelmangel leiden.
Kurzfilme macht man selten aus Profitinteresse, von Werbung und Musikvideos
abgesehen.
Sogar im Deutschen Wettbewerb setzte sich
mit ATLAS von Aike Arndt ein
putziger kleiner 2D Animationsfilm gegen zahlreiche anstrengende
Schauspielfilme durch. ATLAS hatte ein sehr überschaubares Team. Während die
griechischen Götterpüppchen im Olymp (einem kleinen Tempel) feiern, schultert
Atlas den ganzen Kosmos. Ab und an rutscht ihm die Last weg, woraufhin der
Olymp wackelt und Zeus den Hermes herunterschickt, um Atlas zu helfen oder zu
maßregeln. Eine Hubschrauberschildkröte ohne mythologisches Pendant begleitet
Hermes als Werkzeugkiste. Sehr putzig! Einer der Zeusblitze löst dann
unabsichtlich die Evolution aus. Zu Atlas Füßen krabbeln Urtiere aus dem
Wasser, werden zu Sauriern und schließlich Menschen, die in Zeitraffer bis zu
Wolkenkratzerbauern heranwachsen. Arndt weist mit seinem Zeichentrick darauf
hin, dass man nicht immer auf seine Macht pochen und delegieren sollte sondern
manchmal auch selbst mithelfen könnte, um die Welt zu balancieren. Immerhin
2.000 € durfte der Regisseur
entgegennehmen.
Auf einer Exkursion zur
Filmtonpostproduktionsfirma ROTOR FILM in Potsdam Babelsberg bekamen die
Teilnehmer bei einer Hausführung Einblicke in die Arbeit von Geräuschemachern
und Filmtonmischmeistern. Wir hörten einem Mann am Mischpult zu, wie er den
schweizer Tatort mit der deutschen Tonspur mischte. In einem Kino vor Ort
bewunderten wir ein riesiges Mischpult, auf dem ein französischer Filmtrailer
für die kommerzielle deutsche Auswertung vorbereitet wurde. Derart große
Filmtonstudios sind sehr rar in Europa. Der Ausflug lohnte sich für alle, die
guten Ton im Film schätzen und vielleicht noch die passenden Experten dafür
suchen!
Die internationale Jury kürte den
Niederländer Jeroen Annokkée mit SUIKER (Zucker) zum Spielfilmgewinner. Der Preis umfaßt Postproduktion im
Wert von 8.000 € von Rotor Film. SUIKER handelt von einem Unglück, dass der
leichtbekleideten Nachbarin des Protagonisten widerfährt. Sie fällt die steile
Treppe im Haus hinunter und der Nachbar kommt in zweideutige Schwierigkeiten.
Rasant und urkomisch punktet diese schwarze Komödie mit einem Gaggewitter ohne
viele Worte aber mit um so mehr Haut und Peinlichkeiten.
Léo l'impassible |
Al servizio del cliente |
Zu weiteren Höhepunkten des Festivals
zählten: LUMINARIS von Juan Pablo Zaramella,
NU von Alexandre Tisseyre, HACKNEY LULLABIES von Kyako Miyake, HOW TO
RAISE THE MOON von Anja Stuck, THINGS YOU’D BETTER NOT MIX UP von Joost Lieuwma,
TECLOPOLIS von
Javier Mrad sowie DIE ÜBERFISCHUNG DER MEERE von Uli Henrik Streckenbach.
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