Chronik eines angekündigten
Mordes
im BERLINALE PANORAMA SPECIAL 2014
von Dave Lojek
CALVARY |
Manchmal verkörpert ein
Schauspieler eine Rolle so gut, dass man als Kritiker vergisst, nach Schwächen
in einem Film zu suchen. Plötzlich überschreitet man die Grenzen des eigenen
Genregeschmacks und das Kino bannt wieder die Aufmerksamkeit. Dann hat das
Casting funktioniert. Der Ire Brendan Gleeson gehört zu diesen Mimen. Unter der
Regie von John Michael McDonagh und mit ebenbürtigem Ensemble zieht er mich als
Priester eines verrückten irischen Dorfes in seinen Bann. Schon im Berlinale
Panorama 2011 überzeugte Gleeson in THE GUARD. Er gehört zweifelsohne zu den
irischen Weltkinostars, was er in CALVARY erneut beweist. Dieser Film zeigt,
dass man nicht immer riesige Budgets benötigt, um ein Publikum zu fesseln.
Die vom Pressematerial
genannten Genres sind Thriller und Tragikomödie. Worum geht es?
James Lavelle hat sich nach
dem Tod seiner Frau zum Pfarrer umschulen lassen und arbeitet in einem Dorf am
Meer. Gleich zu Beginn beichtet ihm ein Mann, er würde aufgrund von eigenen Mißhandlungserfahrungen
als Kind in einer Woche Rache an einem Pfarrer nehmen. Da der Täter bereits
verstarb, soll nun Lavelle stellvertretend für dessen Sünden büßen. Leider
respektiert Lavelle das Beichtgeheimnis und will nicht zur Polizei gehen. Zwar
spricht er mit seinem Bischoff, aber der hilft ihm nicht wirklich. Im Laufe der
sieben Tage lernen wir viele eigentümliche Bürger des Dorfes kennen. Der
ruppige und schnippische Umgangston und Wortwitz der Iren sorgt für Rangeleien.
Es gibt einen reichen Schnösel, dem nichts wichtig ist. Der Leichenbeschauer kommentiert
ein Unfallopfer als zynischer Atheist. Der Wirt meckert. Ein greiser
Schriftsteller lässt sich von Lavelle einen Revolver besorgen. Den muss er von
einem überdrehten Schwulen erwerben.
Zudem reist Lavelles Tochter
an, die mal wieder beim Suizid aus Liebeskummer versagte. Er besucht einen
Straftäter im Gefängnis und sammelt immer mehr Informationen. Lavelle hat also
auch ohne die Morddrohung viel zu tun. Er spricht mit einer Frau, deren Affäre
für Getuschel sorgt. Ihr Mann ist der fröhliche Fleischer. Die Witwe des
Unfallopfers kommt aus Frankreich und benötigt den Pfarrer auch. Nebenher
probiert sich Lavelle als Detektiv, aber der Film verschleiert geschickt jede
Möglichkeit, zu ergründen, wer der Täter sein wird. Wer hätte welches Motiv?
Damit gelingt dem Regisseur ein Film über viele Abschiede und komplexe
Beziehungsgeflechte. CALVARY skizziert ein höchst unterhaltsames
Gesellschaftsportrait über Bewohner eines verarmten Landes. Nicht nur die
Kirche fackelt jemand ab. Lavelle lebt uns einen Geistlichen vor, der sich
einmischt und vergeben kann. Das Ultimatum dient natürlich dem Spannungsbogen,
aber man bangt auch deshalb mit ihm, weil sein Tod so nutzlos wäre. Besinnt er
sich noch und steigt ins Flugzeug, oder tritt er unbewaffnet seinem Mörder
gegenüber?
Den Film empfehle ich vor
allem, weil er es schafft, Charaktere durch wenige Sätze präzise zu zeichnen. Alle
Bürger stecken in ihren Traumata fest und reagieren höchst heterogen auf den
Pfarrer. Dabei geht es gar nicht um rechthaberischen katholischen Dogmatismus
sondern um ein Musterbeispiel eines Seelsorgers, der vor allem helfen will. Das
aus dem Tagebuch eines Landpfarrers geformte Drehbuch zeigt uns menschliche
Abgründe und deren Ursachen. Schält man die Zivilisation von uns ab, werden
manche zu Bestien, andere zu Erduldern. Letztendlich überfordert fast alle von
uns die Welt. Da drängen sich Fehlentscheidungen und Emotionsstörungen auf.
CALVARY handelt von Trauer,
Angst, Neugier und Vergebung. Die exzentrischen Figuren mögen überzogen oder
fiktiv wirken, aber dank eines liebenswerten Protagonisten bleibt man gern im
Kinosessel. Technisch ist der Film solide; manch lange Einstellung bedarf etwas
Geduld. Trotz sparsamem Schnitt vermeidet der Filmemacher das Theaterhafte, was
bei deutschen Filmen gerne ins Langweilige kippt. Fans von Brendan Gleeson
werden den Film natürlich mögen, aber auch Krimifreunde kommen auf ihre Kosten.
WERTUNG: * * * *
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