17. Februar 2013

FILMthuer Festival Jena 2013


Zuckerguss auf dem Wohlstandskuchen

von Dave Lojek

http://www.filmthuer.de/index_htm_files/201.jpgWas beschäftigt die freien Filmemacher Thüringens? Womit setzen sich Weimarer Studenten oder Jugendliche in zahlreichen Medienwerkstätten auseinander? Auf dem vorzüglich organisierten und reichhaltig kuratierten 9. FILMthuer Festival konnte man sich am Wochenende darüber im zum Veranstaltungssaal umgebauten Volksbad Jena informieren. Von verschneiten Feldern, aus muffeligen Studierzimmern und den Wohnblocks Lobedas zog es die Cineasten und Regisseure zum Paradies für Vielfalt aus Klangbildern und Figurenschach. Ein Rahmenprogramm aus Tänzerinnen und der Damenkapelle Klatschmohn animierte die KulturfreundInnen zum Applaudieren. Eintritt frei! Offerten zum Grübeln eröffnete das Fest; es lud zum Kichern, Träumen, Wundern ein.
Die ausgiebige Tauchfahrt in die Gehirne der Medienschaffenden und Drehbuchautoren aus Deutschlands Mitte ermöglichte Bullaugenblicke in Dramen, Dokumentationen, Delirien und Durchdachtes. Hier finden Sie das Programm und die Preisträger: www.filmthuer.de

In der Tat bot dieses Fest eine riesige Auswahl für viele Geschmäcker und
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RALLE & BOLLE (Animation) von Winfried Bellmann
Zielgruppen. Kinder und Familien unterhielten sich köstlich bei exzellenten Zeichentrickabenteuern der putzigen Hamster. Kunstliebhaber und Kenner der experimentellen Szene freuten sich über abstrakte und rätselhafte Werke bar jedes Erzähldrucks. Erfreulich viele flüssige Spielfilme erreichten ihr Publikum, denn die Studentenfilmquote betrug 16 %. Applaus erklang fast im Minutentakt aus der Halle. Auch wenn der Emotionspegel wirklich berührter oder verärgerter Zuschauer nur ums Normalmaß tendierte, kann dieses Filmfest als Erfolg gewertet werden. Wo sonst bekommen Filmer direkte Reaktionen und Fragen zu ihrer Arbeit? Lernen am Publikum lautet die Devise.
In einer kleinen Stadt wie Jena finden nur drei jährliche Kurzfilmveranstaltungen statt. Dementsprechend motiviert und begeisterungsfähig zeigt sich das ausgehungerte Publikum. Ganz anders dagegen ist Berlin, wo sich über 70 Filmfeste aller Kulör in nur 52 Wochen drängen und die Überfütterung mit 1000 weiteren Veranstaltungen pro Tag kulturell desensibilisiert. Aber dieses Klagen auf hohem Niveau zeigt, dass Deutsche mehr als nur Krieg und Völkermord vermögen (wie in Peter Weidigs Weimarer Dokumentation NUR EIN PAAR KILOMETER vom Stadtführer und einem KZ-Gedenkstätten-Pädagogen erklärt wird). Wir sind lernfähig. Massen wollen sich unablässig (ein)bilden und gerne verkopft herumdoktern an ihre Problemchen. Manch politische Filmübung sah man in Jena und vor allem eine große Lust am Leitmedium. Diese bringt viel Halbgares hervor, aber ich langweile mich allemal lieber im Kino, als von Soldaten beschossen, von Agenten gefoltert oder Sklavenhändlern ausgeweidet zu werden in anderen Regionen dieses Planeten. Welch wohliger Kokon die Filmwelt ist, welch Zuckerguss auf dem Wohlstandskuchen, solange man sich nicht verkaufen muss.

Die organisierten Filmer des Bundesverbands Deutscher Film-Autoren (BDFA) nutzten diese Leistungsschau, um sich für Bundesfestivals in vielen Genres zu qualifizieren. Nur 4 von 64 Regisseuren gingen ohne einen Preis heim. Insofern honorierte das Festival im Prinzip jeden und jede, was zur Politik des Verbandes gehört und regelmäßig die Nicht-BDFAler verwundert, gar zum Spott verleitet. Es gibt immer mehrere dritte, zweite und erste Preise und ettliche Sondergewinner in Genres und Sparten. Statt Logik oder Mathematik herrschen in dieser Kulturnische Freigiebigkeit, Wettbewerbspossen und Aufmunterungstaktik zur Mitgliederbindung. Aber auch die Berlinale denkt sich ständig neue Preise und Trophäen aus. Man liegt damit also im Trend.

Besonders erfreut und überrascht war die 24-jährige Denise Blickhan. Sie gewann die Goldene FILMthuer samt Trophäe und Weinflasche, den 1. Preis in der Jurywertung und den Publikumspreis im Amateurbereich für ihre experimentelle Tanzperformance ASTARTES SCHLAF. Als ihr Erstlingswerk erdachte, drehte und schnitt Denise den Film in nur 30 Stunden im Herbst 2012 beim alljährlichen KinoDynamiqueJena Workshop. Der Videoclip zeigt sie selbst in einem altertümlichen Kleid auf einem Stuhl in einem schwarzen Raum. Ihre Hände schlängeln sich von ihr weg, Videoeffekte beleuchten und verfremden den Tanz zu melancholischer Musik. Der Preisregen und die Delegation zum FanTex Bundesfestival spornt die Kunststudentin Denise gewiss zu weiteren Kurzfilmdrehs an. Sie wäre eine Bereicherung des Verbandes, wie so viele unverbrauchte Jungfilmer hier.
Als Jurymitglied hatte ich die Ehre, mit Experten des BDFA über die Kreationen zu debattieren. Sonderpreise und Trophäen durften nur an Anwesende gehen. Also verscherzten sich viele ihre Preise durch Abwesenheit. FILMthuer gilt als Schleuse für Studentenfilme auf dem Weg in und durch die Amateurszene, weshalb diese zumeist sorgsam erdachten und geschickt produzierten Werke oft bis zu den Weltfilmfestspielen der UNICA gelangen und so das Land repräsentieren. Allerdings beklagen sich Amateure regelmäßig, dass sie mit den Produktionsmitteln und von Dramaturgen korrigierten Arbeiten alleine nicht mithalten können. Das stimmt. Aber ohne ansehnliche Studentenfilme flösse noch weniger junges Blut durch den von Überalterung beherrschen Verband. Durch Veränderung wird aber nichts verwässert, sondern destilliert.
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APOCALYPSE NOW (Musikvideo) von Florian Arndt
Sie bemerken meine Wortwahl zum Thema Flüssigkeiten. Ich spreche vom Volksbad, Tauchfahrten und Blutfluss.
Tatsächlich ergoss sich auch in manchen Filmen Blut wie ein ROTER FADEN, das schlichte Lebenselixier. Oder man behauptete, dass Liebe DICKER ALS BLUT ist, wenn ein lesbisches Ehepaar sich für seine Tochter rechtfertigt, die ein schwuler Freund zeugte.
Die Saale war erfrischender Drehort für meine eigene Komödie PARADIESWEHR, die Immobilienmauschelei entlarvt.     
Ein Greis berichtet über seine Zeit bei der Kriegsmarine im U-Boot 433 und seine Gefangenschaft in kanadischen Lagern. Der Enkel recherchierte vorbildlich. Das poetisch-theatralische Tryptichon OPHELIA eröffnet mit Flussbildern, gewann den Kamerasonderpreis und einen ersten Jurypreis. Auf ein Gesicht in Florian Arndts Musikvideo APOCALYPSE NOW klatscht Wasser. Steffan Fratte fragt direkt: WANN KOMMT DIE FLUT, denn seine Strumpftiere verpassen die Arche Noah. Josefine sitzt auf einem Steg hinter dem langweiligen Campingplatz neben einem Jungen und weiß: GIRLS DON'T CRY. Aus einem Tintenklecks erwachen eine Tanzmotte und ein Feuervogel in LUSYDA, um im Liebestaumel zu verbrennen.
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ICH SEHE ALLES (Spielfilm) von Georg Pelzer
Blutlos hingegen staksen die Marionettenzombies durch das Musikvideo MENSCHENFRESSER, um hirntot ihrer Einöde zu huldigen. Apropos: In der exzellenten Antimation CROSSOVER bekehrt eine große Kreuzspinne mit Tamtam und gleißendem Licht viele hypnotisierte Feuerkäfer. Welch gelungenes Simile zur fadenscheinigen Religion. Endlich sind wir nicht mehr Pabst.
Zurück zu den Ausgangsfragen: Magie und Beziehungen standen im Fokus der Filmemacher Thüringens; Alltag und Zitate trieben sie um. Es wurde verstrahlt, gemalt, geaalt und bezahlt. Der Bogen spannte sich von Sport und Ästhetik über Stalkingvorwürfe und Basteleien bis hin zu Künstlerbiographien, Generationenkonflikten und generischen Formübungen in Werbung, Musikvideo und Weltuntergängen. Menschen scheuten und trauten sich; sie telefonierten, tanzten, tätschelten.

Warum entstehen diese Filme? Sie sind Aufgaben von Filmprofessoren, Spielereien mit Kameras, Momentaufnahmen und Versuche. Sie wollen erzählen oder verwirren. Aufmerksamkeit wünschen sie sich und probieren es mit Bildsprache und Musik. Oftmals kongruiert die Intention ungenügend mit dem Anspruch und der Umsetzung. Gelegentlich misslingt Unterhaltung oder die Mittel widersprechen der Botschaft. Kurzfilm als Experimentierlabor schärft die Kunstfertigkeit und das visuelle Handwerk. Das Laufpublikum schert sich wenig um ungleiche Produktionsbedingungen oder Prämierungen. Es erwartet Kinokultur und lernt, wie wenig es durch Fernsehen und industriellen Kommerzspielfilm von der Welt mitbekommt, von den Nachbarn, den Randgruppen, Sportlern (wie in BERGLINE von Marcus Lauterbach).
 
FILMthuer zündet insbesondere der kreativen Jugend eine Fackel an, die sie olympisch in das Land tragen sollte. Die berüchtigten ergrauten Herren präsentieren zwar auch hier ihre Werke frühmorgens, aber die erfreuliche Durchmischung der Altersklassen bewirkt, dass Perspektiven sich verschieben, dass viele Stimmen erklingen in diversen Frequenzen und Melodien im Schwimmbad der Fantasie.
Wenn Sie einen Feuerkäfer beten sehen, suchen Sie die Spinne! Erzählt Ihnen jemand ein Gedicht, küssen Sie ihn! Haben Sie Kinder, hören Sie zu und beschützen Sie sie! Wollen Sie Liebe, werden Sie liebenswerter und akzeptieren Sie sich selbst!

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