4. März 2011

Berlinale 2011 Festivalbericht

The King's Speech
Berlins größtes Filmereignis brachte zum 61. Mal zehntausende Cineasten und Filmschaffende zusammen und flackerte frenetisch durch den medialen Februar 2011. Bei der massiven staatlichen  Kulturförderung darf man das auch erwarten. Es ist derart komplex, dass ein Resümee nur Streiflichter erfassen kann. Fest steht: Film ist allgegenwärtiges Verbrauchsgut, Unterhaltungsgarant zumeist und oftmals kompliziert in der Herstellung. Bildmacht und Emotionskatalysator zugleich blendet und betäubt uns das Medium und erzeugt Träume, Wünsche und Geschichten.

Man brauchte sich jedoch nur wenige hundert Meter vom Potzdamer Platz zu entfernen um zu bemerken, wie wenig Notiz die Bevölkerung davon nimmt. Während man als Reporter oder Regisseur täglich mehrere Filme schaut, Empfänge und Vorträge besucht, abends Festivalparties geniesst, plätschert der Alltag gleichmäßig dahin für die Stadtbewohner. Einige stellen sich zwar für die teuren Kinokarten an, aber die meisten fahren einfach zur Arbeit oder heim, kaufen ein oder verkaufen, konsumieren und kommunizieren. Insofern bekommt man eine Außensicht auf dieses Hochenergiegebilde namens Filmfestspiele. Man begreift den Luxus und das Privileg, sich mit der Filmkunst nach Herzenslust befassen zu können und kommentiert, kritisiert, applaudiert.
Armin Mueller-Stahl
Also möchte ich mich bei allen Festivalorganisatoren, Filmemachern und den fleißigen Helferinnen bedanken, die uns dieses Ereignis alljählich schenken. Es war vergnüglich und anstrengend, mal voller Kinowunder, mal rätselhaft. Auf dem EFM brummte nach Aussagen des Managements das Filmgeschäft. Man traf liebe Bekannte an den Verkaufsständen und plauderte mit Produzenten, Verleihern und dem Personal. Armin Mueller Stahl erhielt eine Hommage und eine goldene Kamera für sein beachtliches Lebenswerk.

Late Bloomers
Die Shooting Stars wurden artig fotografiert und einige etablierte Schauspieler defilierten über den Teppich, den roten. Autogramme beglückten Fans. Plakate mit großen Bs schmückten die Hauptstadt. Der TALENT CAMPUS vernetzte die Jungfilmer mit den Experten wie gewohnt. Inzwischen werden sogar schon Kinoiten dort hereingelassen, jene aktivste Guerilla-Filmergattung, die ohne Budgets, Vorbereitung oder Wettbewerb bei Filmworkshops (KinoKabarets) ihre Kurzfilme fast monatlich produziert. Sehr erfreulich!
Ralph Fiennes (CORIOLANUS) und der Komponist Michael Nyman gaben sich die Ehre ebenso wie Isabella Rosselini, deren Schauspiel in LATE BLOOMERS neben William Hurt erblühte. 

Margin Call
Die Festivalsektionen verschwammen wie üblich vom Profil, aber letztlich ging es immer um Bewegtbildphantasien oder Weltabbildung. In MARGIN CALL drehen Börsenfutzis um Kevin Spacey ganz linke Dinger, um ihre Haut zu retten. Sie lösten so das Finanzdesaster 2008 aus. Ein stotternder englischer König wird in THE KING'S SPEECH von einem amüsanten Australier (Jeoffrey Rush) therapiert. Dafür bekam Colin Firth einen Oscar. Und die Queen Mom wurde verkörpert von einer großartigen Helena Bonham Carter. Apropos: Kulinarisch wurde es in der Komödie TOAST. Helena Bonham Carter gibt hier auch als Mrs. Potter dem jungen Nigel Slater (Freddie Highmore) ordentlich Zucker. Soll heißen: Die beiden wetteifern im Kochen und Backen um die Gunst von Nigels verwittweten Vater in den 1960ern. Aus Nigel wird trotz einiger Rückschläge später einer der besten Köche Englands. Sehr vergnüglich.
Brendan Gleeson und Don Cheadle ermitteln in Mordfällen an der irischen Küste. Sie wollen in THE GUARD auch noch einen großen Drogentransport verhindern. Soweit wäre das nicht erwähnenswert, würden die Charaktere nicht so ulkige Eigenarten aufweisen. Der Dorfpolizist macht den FBI Ermittler mit seiner ruhigen Art ganz wuschig. Eine Krimikomödie, die man sich im PANORAMA anschauen konnte.
Mein bester Feind
In MEIN BESTER FEIND spielt Moritz Bleibtreu einen Wiener Juden, der nach einem Flugzeugabsturz die Naziuniform seines Freundfeindes Smekal anzieht, um zu überleben. Eine recht gelungene Dramödie mit vielen Wendungen und Ursula Strauss als Lena. Viele Schauspieler in Murnbergers Film sprechen mit echtem Wiener Akzent, nur Bleibtreu leider nicht. Ansonsten prima inszeniert, verwundert also diese Besetzung. Ja, es ist ein weiterer Streifen über die Nazis und KZs, der aber auch zum Lachen einlädt. Vielleicht sollte einfach das deutsche Publikum vom Namen Bleibtreu angezogen werden, denn Österreich und Luxemburg als Produktionsländer sind natürlich viel kleiner, was die Kinoauswertung anbelangt. Mal sehen, ob das funktioniert wie in Murnbergers grandiosem KNOCHENMANN.

Schaute man genauer hin, stellte man im Festival eine gewisse Medienmüdigkeit fest sowohl bei den Inhalten als auch bei den Machern. Lag es am Wetter, an der Weltpolitik oder an den Hormonschwankungen? Rührte es von sinkenden Produktionsbudgets oder der übergroßen Konkurrenz aus den USA her? Der Wettbewerbsblock schwächelte nach einhelliger Kritikermeinung, was natürlich dem Kartenverkauf keinen Abbruch tat. Umsatz wird die Berlinale gewiss gemacht haben, aber die Filmqualität schwankte wie gewohnt, weil ja so viele Geschmäcker bedient werden wollen. Das Festival verästelt sich.
Was gab es Neues? 3D ist eigentlich keine große Sache mehr. 3D Dokus ebensowenig. 
Life in a Day
Vielleicht der LIFE IN A DAY. Da hat man sich die Dreharbeiten komplett gespart und lieber YouTube Amateure gebeten, einen Lebenstag zu bebildern. Der Film funktioniert also nur als Collage und Zusammenschnitt von 4500 Stunden Bildmaterial. Das menschliche Leben soll in seiner Mannigfaltigkeit erfaßt werden. Aufstehen, essen, urinieren, Fahrrad fahren, schuften, reden, jagen, spielen, schlachten, schäkern, sich ängstigen, lachen, weinen. Man könnte noch viele Verben auflisten. Die Leute benutzen ihre Kameras als Spiegel oder Voyeure. Wenn Ridley Scott da mitmacht, soll das wohl für Qualität stehen. Natürlich wurde nur eine begrenzte Zahl Protagonisten herausgepickt. Am Ende heult eine Amerkanerin in die Kamera, wie unwichtig sie doch wäre und wie langweilig ihr Tag war aber dass sie doch hier sei. Schon nach einigen Minuten bringt dieser Bildersalat ein Gefühl klar zum Vorschein. Überinformation durch Zapping.

Hauntings I
In der kanadischen Botschaft liefen Guy Maddins kurze Stummfilme auf Fernsehern in einer Dauerschleife. Das nennt sich FORUM EXPANDED und soll die Übergänge zwischen Film und Kunst bündeln. Man setzte sich mit Kopfhörern davor und lauschte den Soundtracks, während man Udo Kier als Flieger-Ass in putzigen selbstgebastelten Filmsets und ulkigen Kostümen bestaunte. Die Filme sind wohl ganz flink entstanden und hektisch geschnitten, haben alle den gleichen Look und Texteinblendungen, die den Filmpionierstil immitieren. Skuril und sympathisch.

In der Jury des Wettbewerbs fehlte der Iraner Jafar Panahi, denn er sitzt leider im Gefängnis, weil er  systemuntreue Ideen hatte. Also sperrte ihn die iranische Gedankenjustiz vorsorglich weg. Die Berlinalejury vergab sowohl den Goldenen Bären als auch die Silbernen Schauspielbären an den iranischen Beitrag NADER AND SIMIN – A SEPARATION. Ob das als Politikum fungiert oder doch an der Qualität des Streifens liegt, der auch auf dem Teheraner Filmfest abräumte, kann ich nicht beurteilen.
Nader and Simin - A Separation
Die Jury bestand aus Filmkünstlern und Schauspielerinnen, die wenig Mainstreammaterial abliefern. Aber deren Entscheidungen mögen ein Zeichen dafür sein, dass die Zeit revolutionsreif ist für die gesamte arabische Welt. Die Regime wehren sich noch hie und da und werden wohl von anderen religiösen Eiferern ersetzt. Nicht umsonst recken die Kämpfer ihre Fäuste und Waffen in den Himmel mit ihrem Gott auf den Lippen. Aber von Tunesien über Lybien und Ägypten bis auf die arabische Halbinsel reicht nun die Aufruhrwelle. Eine Zeit des Zorns und der Gewalt bricht an, deren Konsequenzen auch wir Europäer verspüren werden.

Zwar präsentiert die Berlinale ein relativ breites Spektrum internationaler Produktionen zwischen Kunst und Kommerz, aber zeigbar sind lang nicht alle davon. Als Filmkritiker bin ich kaum komplett zu beglücken und ärgere mich oft, dass ich im FORUM wieder Pech hatte mit langweiligen und unverständlichen Mediengebilden.
Als aktiver Filmemacher und Festivalorganisator hingegen gratuliere ich allen ausgewählten und prämierten Kollegen herzlich. Weiter so! Die Berlinale macht sich immer gut in der Filmographie!

Hier finden Sie die Kritiken zu den einzelnen Berlinalesektionen:



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