3. März 2011

BERLINALE GENERATION 2011

KNERTEN GIFTER SEG KEEPER’N TIL LIVERPOOL • RED DOG

Das Kinderfilmsegment der Berlinale offeriert klassische Spielfilme, bei denen immer auf technische wie narrative Qualität geachtet wird. Es gibt klare Spannungsbögen und Kameraarbeit, die nur die Geschichte transportiert. Handwerklich überzeugen die meisten Produktionen. Experimentelles würde die Kinderjurys und Familien im Kino wohl überfordern.
Zielgruppenprogramm wie dieses verspricht also traditionelle Unterhaltung und befasst sich mit dem Leben Heranwachsender.
Knerten gifter seg
In KNERTEN GIFTER SEG (Knerten trau sich) erlebt der kleine Junge Lillebror Dorfabenteuer im Norwegen der 1950er Jahre. Sein eigenwilliger Freund Knerten (ein sprechender computeranimierter Ast) entdeckt die Liebe, während Lillebror untersucht, wer seine Mutter angefahren hat. Es fühlt sich ungut an, wenn Mama im Krankenhaus liegt und Papa auf Geschäftsreise ist. Auch beäugt Lillebror argwöhnisch die neue Familie im Dorf, deren Sohn das heißersehnte Fahrrad wohl bekommen wird. Norwegen bereitet sich auf die Hochzeit eines Prinzen vor. Dazu schafft der Krämer eigens einen Fernseher an. Knerten kann sich aber auf den Fall kaum konzentrieren, da er sich in das Zweigmädchen Karoline verguckte. Die Knerten-Filmreihe wird noch in einem dritten Teil fortgestetzt, wie der Regisseur Martin Lund verkündete. Der erste Teil (MEIN FREUND KNERTEN) kommt schon diesen Sommer synchronisiert in die deutschen Kinos.

Konflikte und Situationen junger Menschen wie Drogen- und Elternprobleme (FRIT FALD), Identitätsfindung (APFLICKORNA), Sexualität und Beschneidung (SKYSKRABER), Schule, Normen, Geschwister, Andersartigkeit, Behinderung oder Ungerechtigkeit stehen immer klar im Zentrum der GENERATION-Auswahl. Die Figuren obsiegen allesamt oder machen einen Verstandesprozess durch, der sie reifer in die Welt schickt (THE DYNAMITER) oder versöhnt.
Skyskraber
Die Genres reichen von Komödie, Drama und Trickfilm (DER RIESIGE BÄR) bis zu Road Movie und Romanze (UNDER THE HAWTHORN TREE). Wie gewohnt bewerfen die Drehbuchschreiber ihre Figuren mit weltlichen, sexuellen und familiären Problemen, damit das Publikum Identifikationsfiguren oder Antagonisten bekommt und sich der Kinobesuch lohnt. Die meist fotogenen Figuren reagieren mit Flucht (BAD OH MEH), Sturheit oder Kampf, nachdem man sie genug ärgerte. Manche verlieben sich oder verzweifeln. Viele dieser Filme zeigen Gesellschaften, die sich wandeln und die Protagonisten zur Veränderung zwingen. Denkmuster aufbrechen, Traditionen umkippen ist hier das Credo. Filmemacher balancieren beim Erzählen ständig zwischen äußeren Umständen (wie Krieg, Religion, Unfälle, Hänseleien oder Verwandschaftskonflikten) und inneren Reaktionen, die die Charakterentwicklungen vorantreiben. 
Westliche Frauen bedienen sich aus Samenbanken und lassen die Kinder ohne Väter aufwachsen (DE STERKSTE MAN VAN NEDERLAND), erfinden dann Ausreden und belügen ihren Nachwuchs, der sich nach seiner Herkunft erkundigt. So kommt Dramaturgie in Gang und kann auch komisch interpretiert werden. Manch Kind fühlt sich ignoriert und läuft davon (AUF LEISEN PFOTEN). Mitunter sind Gut und Böse klar getrennt und erkennbar, aber im 14plus Segment (Jugendfilme) verschwimmen schon die Grenzen, weil man dem Publikum komplexere Menschenbilder zumuten kann. Motivation und Vorgeschichte der Hauptfiguren zeigen uns, dass wir meist in moralischen Grauzonen leben. Anspruch und Realität treffen aufeinander. Wer im Film eine Verinfachungsmaschine sieht, wird dann enttäuscht, wenn keine Klischees bedient werden oder Konflikte im Sande verlaufen. Den Filmemachern obliegt es, sich auf Bilder und Plots festzulegen und so ihren Schauspielern und Teams gute Rahmenbedingungen zu erschaffen. 
Dann mischen Regisseure gerne noch ein Quentchen Glück oder Pech ein, der Produzent treufelt Didaktik und Moralpulver hinzu, rührt dreimal ordentlich mit dem Zufallsquirl um und schon sind wieder 90 Minuten Lebenszeit rum. Fiedelbumm.
Filme auf diesem hohen Niveau werden natürlich auch produziert, damit die Teams, Schauspieler und Produzenten Geld verdienen, ihren Ruhm und Marktwert mehren. Damit sie von ihrer Arbeit leben können. Sie sind also an den Kinderfilmmarkt und dessen Genese gekettet und machen sich gegenseitig Konkurrenz. Gleichzeitig müssen sie gegen den Ablenkungsapparat aus Videospielen, Büchern und Internet ankämpfen und die Aufmerksamkeitsspanne der Konsumenten beachten. Dann wird aus der Kunst das Geschäft, dem Festivalpreise machmal helfen.
Das Einsprechen der Dialoge auf Deutsch durch eine Synchronstimme verwirrt manch Kind. Soweit hat sich nichts geändert. Wie wäre es denn, wenn man auch Kinder bei der Programmauswahl und den Sichtungen der Einreichungen beteiligte? Nur als Test. Wüssten diese nicht besser, was sie Altersgenossen im Festival zeigen würden? Oder man zeigte Filme, die von Kindern selbst hergestellt wurden, wie es einige Festivals inzwischen tun (KuKi, Schlingel, Lucas).


KEEPER’N TIL LIVERPOOL (Gläserner Bär für den besten Film)

KEEPER’N TIL LIVERPOOL
Dreizehn ist kein einfaches Alter. Jo aus einer norwegischen Kleinstadt kennt sich da bestens aus. Durch eine übervorsichtige Mutter geprägt, imaginiert er beständig abstruse Gefahren und umgeht sie sorgsam. Sei es der stärkere Schüler Tom Erik oder eine Sportverletzung mit ernsten Folgen. Jos Vorstellungskraft macht ihm zu schaffen und lähmt ihn. Dabei ist Jo sehr intelligent und gut in Mathe. Die Hausaufgaben des Kraftprotzes übernimmt er durch Einschüchterung, was seine Paranoia noch anstachelt. Jo sammelt auch Fußballerkarten vom Liverpool Team. Besonders den Torwart suchen er und seine Mitschüler dringend. Dann wäre die Mannschaft komplett und Jo ein Held.
KEEPER’N TIL LIVERPOOL von Arild Andresen punktet durch einen rasanten Start und ulkige Situationen. Die empfehlenwerte Jugendkomödie arbeitet zwar mit bekannten Themen aus Schule, Alltag und Amourösem, aber die Figuren haben viel Potential und die Jungschauspieler (Ask van der Hagen, Susanne Boucher, Jostein Skranes Bronx) halten die Drehbedingungen prima durch. Viele witzige Ideen flossen ein und das Timing ist exzellent.
Als die schöne Mari neu in Jos Klasse kommt und ein Talent für Mathe zeigt, verguckt Jo sich sofort in sie. Jetzt hat er also schon wieder mehr Probleme, denn sie könnte ja seine Gefühle ablehnen vor allen Mitschülern und Jo zusätzlich in peinliche Situationen bringen. Vielleicht würde sie ihm gerne Kuchenteig über den Kopf gießen in der Kochstunde oder mit anderen Mädchen über ihn tuscheln beim Fußballtraining. Am Kleiderhaken zu hängen wie ein Turnbeutel, verbessert Jos Image kaum.
Um Jo herum haben freilich auch andere Figuren ein Leben. Seine Mutter schäkert unter einem Vorwand öfter mit dem Nachbarn und kommt mit zerwuscheltem Haar heim. Der ältere Bruder von Jos Freund ertrug den Druck im englischen Profifußball nicht und man erfindet Geschichten über seine Heimkehr. Jo erlebt derweile kleine Abenteuer und beginnt, sich den Gefahren zu stellen. Denn Mari zieht ihn magnetisch an.


RED DOG

Ein Reisender kommt erschöpft an eine Raststätte. Drinnen stehen Menschen besorgt um einen alten Hund. Was mit ihm sei, will der Reisende wissen. Das ist Red Dog, der berühmteste Hund Australiens. Wie es dazu kam, berichten die Bewohner einer Siedlung im staubigen Land.
In dieser Legende kommen keine Kinder vor. Auch der Hund spricht nicht und hat keine Zauberkräfte. Aber er ist oft zugegen, wenn im Leben der Bergleute, Stahlkocher und Raupenfahrer Wichtiges passiert.
Red Dog
Es beginnt in den 1970ern, als der Straßenköter im Ort Dampier auftaucht. Dort schuften Männer aus der ganzen Welt. Sie vermissen ihre Heimat und raufen freundschaftlich miteinander. Wem gehört dieser Hund? Er scheint sich nicht festzulegen. Mal ist er beim Iren, mal beim Italiener. Er wirkt beruhigend auf die Männer und schaut ihnen zu. Sie mögen ihn alle, aber Red Dog hat kein Herrchen. So vergeht viel Zeit.
Schließlich landet Red Dog bei John, der hier den Bus fährt. Auf dem Campingplatz lebt eine gefährliche Katze, die Red Dog oft angreift. Johns neue Freundin Nancy akzeptiert den Hund problemlos. Sie wachsen zusammen und alles wäre prima, wenn John nicht plötzlich bei einem Unfall stürbe. Sein Hund sucht nach ihm im ganzen Nordwesten wie Gilgamesh, kehrt zurück und versöhnt sich mit der Katze.
Die Tiertrainer leisten gute Arbeit. Auch den Schauspielern um Josh Lucas, Rachael Taylor und Luke Ford gelingt ein besonderer Film, der kindertauglich aber auch tiefsinnig wirkt. Dazu muß man nicht Literaturgeschichte und Mythologien studieren, denn die Saga um diesen besonderen Hund zitiert nur allgemeine Archetypen.

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