3. März 2011

BERLINALE PERSPEKTIVE DEUTSCHES KINO 2011


KAMAKIA • VATERLANDSVERRÄTER • LOLLIPOP MONSTER

Kamakia
Zu den lustigsten Beiträgen der Berlinale zählt klar Jasin Challahs KAMAKIA – Die Helden der Insel. Eine verschrobene Handpuppe namens Kosta Rapadopoulos begibt sich auf die Spuren einer besonderen Art Fischer: Griechische Gigolos aus den 1960ern und 70ern, die nach nordeuropäischen Touristinnen fischten und sie dutzendweise beglückten. Besonders die Kommentare der Handpuppe, die fortwährend ihre Mission bedroht sieht, hauchen dem Dokumentarfilm Leben ein.
Als Kosta dann die Kamakia findet, erzählen sie ihm von ihren erotischen Abenteuern. Sie sind ja inzwischen alle im Rentenalter, aber erinnern sich lebhaft an die emanzipierten Touristinnen aus Deutschland, Holland und Schweden. Sie flirteten mit ihnen im Wochenrhythmus und verabschiedeten sie am Flughafen, bevor sie die nächsten direkt dort aufgabelten. Fliegender Wechsel. Die Strände waren voller williger Blondinen, die sich durch Motoräder beeindrucken ließen. Und jede, die nach Griechenland kam aus Lust auf zwanglosen Sex, wurde auch fündig. Es gab Hierarchien unter den Kamakia, die sorgsam eingehalten wurden. Die Touristinnen verteilte man nach Attraktivität und Geldbeutel.
Kosta befragt auch einige Frauen, die zu dieser Zeit auf den griechischen Inseln hängenblieben, damit das Bild nicht zu schief hängt. Sie geben Anekdoten zum Besten, die uns schmunzeln lassen.
Dann reist das Filmteam auf eine andere Insel, um den Mann zu finden, der diese Epoche auslöste. Der Greis berichtet von zwei Mädchen, die ihn als Jüngling mit Drogen betäubten und dann bestiegen am Strand. Er wachte also quasi auf und da wechselten sich die blonden Mädels gerade ab beim Reiten. Das gefiel ihm und er verständigte sich fortan mit den Nordeuropäierinnen nur noch in der Körpersprache. Es wäre ja auch unhöflich, die Gäste abzuweisen, die inzwischen die Pille und Kondome benutzten.
Die Berlinale druckte Kosta sogar eine eigene Akkreditierung aus. Man durfte ihn nur filmen und fotografieren, wenn er “lebte”, also wenn Jasin seine Hand in ihm hatte! So sind diese Puppenspieler. Wird Kosta also weiterarbeiten und neue Themen erforschen? Das wäre prima!


Vaterlandsverräter
Ebenfalls im dokumentarischen Segment der Perspektive befindet sich mit Annekatrin Hendels VATERLANDS-VERRÄTER eine DDR-Aufarbeitung der Sonderklasse. Die Biografie des unangenehmen Meckerers Paul Gratzig zeigt uns exemplarisch und ohne Wertung, wie leicht man als Dichter in der Diktatur des Proletariats von der Stasi rekrutiert und bedroht wurde. Pauls Leben war eine Achterbahnfahrt, in der er mit Literaturgrößen umging und sich schließlich selbst als IM outete. Das Faszinierende an diesem Film ist weniger die Lebensgeschichte, die Frauen, Kollegen, Kinder und auch den Stasioffizier einbindet mit ihren Paul Gratzig-Erfahrungen. Nein. Vielmehr ist es das Kunststück der Filmemacherin, uns einen so unsympathischen Menschen derart gekonnt zu präsentieren, dass man ihr Einfühlungsvermögen bewundern muss. Sie kennt Gratzig auch seit 20 Jahren und hatte Zugang zu intimsten Details. Ein Zeichner bebildert besondere Momente im Leben des Schriftstellers. Die Regisseurin inszeniert dann sogar noch ein Treffen mit dem unbekannten Sohn Philipp bei Paul auf dem abgelegenen Landhaus, um einen emotionalen Bogen zu finden.
Man muss weder Gratzigs Romane und Theaterstücke kennen, noch sein Verhalten gutheißen. Diese Filmbiographie verdeutlicht, wie der Mann aus Angst und Naivität zum Verräter der Freunde wurde und sich nach der Offenbarung in die Provinz verabschiedete. Dort vergrub er sich in Manuskripten und wettert gegen das alte System genauso wie gegen das derzeitige. Er war Kommunist und Gigolo, unstet und manipulativ.
Dass das Filmteam ihn so lange ertrug und dabei solch eine differenzierte Geschichte entstand, verlangt mir Respekt ab. Die Lektorin Gabriele Dietze berichtet von Begegnungen mit Gratzig, wo er schon paranoid war in den 80ern. Manuskriptübergabe im Badeanzug in einem Freibad. Gratzigs Tochter fährt Straßenbahn in Dresden und kennt ihren Vater kaum. Eine seiner Geliebten echauffiert sich über die Stasi-Akten. Man steckt durch Archivmaterial und Zeitzeugenberichte plötzlich wieder drin in dem zweiten deutschen Staat, der sich nach einer Testphase von 40 Jahren selbst auflöste. 


Lollipop Monster
Kontrast klappt immer. LOLLIPOP MONSTER von Ziska Riemann arbeitet gekonnt damit. Ein blondes Mädchen Ari (Jella Haase) und ein schwarzhaariges namens Oona (Sarah Horváth). Die Blondine entdeckt die Macht ihrer Sexualität als Lolita. Die dunkle kommt aus einer Künstlerfamilie. Ihr Onkel besteigt ihre Mutter, kaum dass der Vater nach seinem Freitod kalt ist. Reichlich Stoff zum Reiben also für die Zielgruppe der Jungdeutschen. Die Mädels freunden sich an und hören ihre Lieblingsband „Tier“. Deren Sänger hat zu viel Raum im Film. In der Schule meidet man die Mädels. Aris Mutter (Sandra Borgmann) ignoriert die Entwicklung ihrer Kinder. Prima Lacher erzeugt sie, wie sie alles schönredet. Aris Bruder schleppt eine Afrikanerin nach Hause und vergnügt sich mit ihr.
Oona ritzt sich und malt düstere Bilder mit Kohle. Ab und zu werden sie im Film animiert. Das Leben als Exzess umfängt unsere Heldinnen. Ari wird von einem Mann mit Auto aufgegabelt und bezirzt ihn. Schon ist sie entjungfert. Aber dann schnappt sie sich Oonas Onkel Lukas, der ihr ebenfalls nicht widerstehen kann. Das erschüttert die Freundschaft der Mädchen natürlich.
Sie schmieden nach der Schmollphase jedoch einen Plan gegen Onkel Lukas. Der muss weg.
Die Hauptfiguren spielen ihre Rollen gut. Da freut man sich auf mehr, bevor sie zu erwachsen sind und diesen Jugendsog verlieren. Julia Brandes gewann den Femina-Film-Preis für ihre Kostüme.

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