21. Oktober 2012

FILM IM LARVENSTADIUM

Bericht vom 9. Internationalen KinoKabaret Berlin 2012

von Dave Lojek – Festivaldirektor


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Poster KinoBerlino 2012
Jede Generation findet und erfindet ihre Ausdrucksformen mit audiovisuellen Künsten. Althergebrachtes kehrt sich um. Grundlegendes wird tradiert und überdauert technische Neuerungen. Geschichtenerzählen gehört zur ältesten Form der Kommunikation überhaupt, egal ob man dem Schamanen am Lagerfeuer oder dem Dichter auf der Buchmesse lauscht. Erodiert das  Talent zum konsistenten Erfinden und Vermitteln von Geschichten? Ohne Plot  und Struktur, bleibt jede Spielerei mit Technik, Menschen und Kostümen eine Fingerübung. Aber üben müssen wir ununterbrochen.

Für junge Filmbegeisterte zwischen 18 und Mitte 40 hat sich seit 1999 die internationale KINO-Bewegung zu einem Hort freier Kreativität gemausert, die Konkurrenz mit Kooperation ersetzt, Leistungsdruck und Konformität mit spielerischer Experimentierfreude und Offenheit vertauscht. Das Aneinanderreihen von Bildern zu Szenen, Szenen zu Geschichten, erfrischt den Geist und bildet eine Oase im medialen Alltagstrott. Wir machen uns mehr Probleme, als wir bewältigen können, aber wir bleiben wachsam, netzwerkeln unentwegt, inspirieren Tausende.
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Sybill Montet

In so genannten KinoKabarets trifft man sich zum gemeinsamen Drehen, denn Film ist für uns eine Gruppenarbeit. Die siebente Kunst vereint alle anderen in sich und bleibt zeitlebens eine Herausforderung für jeden, der sich damit befasst. Lob und Kritik aus der unmittelbaren Zielgruppe sorgen für die emotionale Achterbahnfahrt im Künstlerleben.

Angehende Regisseure oder Amateurfilmer treffen auf Schauspieler, Möchtegerne oder Naturtalente aus anderen Ländern und erkennen in der Praxis, dass ihre Drehbücher manchmal zu kulturspezifisch und dialoglastig sind. Also improvisieren sie und wundern sich über die pure Kraft des Zufalls. Kameraleute und Fotografen mit den unterschiedlichsten Erfahrungswerten verabreden sich mit Cuttern und Musikern. Bastler und Maskenbildner gestalten Kostüme und Gesichter. Alle bringen ihre eigene Technik mit und borgen sie sich untereinander. Verrückt? Bestimmt, euer Ehren! Aber es macht eine Mordsgaudi.

Die Regeln sind denkbar simpel:  „Do well with nothing, do better with little and do it right now!“
Soll heißen: Erschaffe etwas Gutes aus dem Nichts, mache es besser mit ganz wenigen Mitteln, und tue es jetzt sofort!
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Angela Jehring als Engel
Das klappt besonders gut mit digitalen Spiegelreflexkameras und Computern, Richtmikros und ein wenig Licht. Man gibt sich zwei bis drei Tage Zeit, um Kurzfilme von der Idee bis zur Kinoleinwand zu bringen. Das macht süchtig, denn man wird nicht von Versagensängsten blockiert, da wir bewusst auf Preise, Jurys und Wettbewerbe verzichten. Als originäre Filmwerkstatt produziert das KinoKabaret sehr viele Übungen und manche Überraschung. Wir sind oft der praktische Erstkontakt mit den Herausforderungen des Mediums überhaupt. Einige studierten Film, nachdem sie beim KinoKabaret Blut geleckt hatten.

Wie entsteht dieser Sog? Am Anfang stehen die Liebe zum Filmen und der Wille, eine neue Kino-Zelle in diesem bereits 70 Städte weltweit umfassenden Netzwerk zu gründen. Weit mehr als 5000 Aktive tummeln sich darin und bereisen die befreundeten Gruppen, ganz ähnlich übrigens den BDFA- und UNICA Festivals.

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Produktionstreffen
Beseelte Teilnehmer aus Italien, Georgien und Köln sprachen mich in Berlin an und bekamen die praktische Anleitung zum Aufbau einer neuen Zelle. Auch Warschau, Cisinau, Prizren, Prag und Barcelona eröffneten letztes Jahr ihre Gruppen; Dublin, Köln und weitere Städte werden folgen. Viral nennen wir die Verbreitung des Konzeptes.


Wie macht man ein KinoKabaret? Ein kleines Team organisationsbegabter Filmer veranstaltet monatliche Kinoabende in ihrer Stadt und lockt freie Filmschaffende an. Sagen wir in Berlin, wo es über 80 Filmfestivals pro Jahr gibt. Man findet einen Termin für das jährliche KinoKabaret und benachrichtigt auf Flyern und im Internet sowohl die direkte Zielgruppe als auch einige Magazine und andere Multiplikatoren. Das Team besorgt sich einen Veranstaltungsort und ein Kino für die Vorführungen. Soweit dürfte Filmfestivalorganisation bekannt sein.
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Märchendreh
In unserem Falle haben wir mit dem Jugendclub ELOK und dem Kino Moviemento die perfekten Partner gefunden und ermöglichen für die Teilnehmer sehr produktive und vor allem lehrreiche jährliche Festivals mit lecker Essen, Technikausleihe und Tonstudio.


Man darf davon ausgehen, dass nicht jeder Film oscarreif wird, den man ihn so großer Eile ohne Budget oder Verwertungsinteresse zusammenfriemelt. Das ist aber auch gar nicht der Anspruch. Zum Erproben wurde das KinoKabaret erfunden.
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Vorstellung im Kino Moviemento
Anstatt wie Filmstudenten im Jahr vielleicht ein oder zwei Kurzfilme zu produzieren, die dann nur auf wenigen Festivals zu sehen sind, schaffen einige „Kinoïten“ spielend zehn pro Jahr, die dank des großen Netzwerks manchmal beachtliche Resonanz erfahren. Qualität statt Quantität? Wir wissen nur zu gut um die extrem geringe Aufmerksamkeitsspanne des Zielpublikums im Youtube-Zeitalter. Aber Qualität ist nicht ausgeschlossen. Die traditionellen offenen Fernsehkanäle  wie ALEX TV bespielen wir mehr aus Spaß an der Freude oder ignorieren den kommerziellen Film schlichtweg ganz. Unser Milieu zieht so viele Medienmenschen an, dass wir die Kapazitätsgrenzen überschreiten.

Ambitionen haben wir, ja doch! Mal einen Dreh ordentlich vorbereiten, oder Zeit zum Proben mit den Schauspielern finden. Mal was Zeigbares zaubern oder Fördergelder absahnen. Aber wir igeln uns nicht permanent in der Wunschvorstellung ein. Das macht doch depressiv. Die beste Heilung dafür ist unsere Produktivität. Wir drehen uns schneiden bis der Arzt kommt!


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Gruppenbild bei Eröffnung
Für zehn Tage im September versammelten sich ca. 200 Teilnehmer bei uns und erschufen 120 Filme, die frisch im Kino Moviemento liefen. Man stelle sich die Aufregung, den Schlafmangel und die Erschöpfung vor. Adrenalin pur. Ein digitaler Extremsport für manche, die nächtelang an ihrem Material schneiden, und ganz blass werden, wenn der Film im Kino nicht sauber läuft.

Die Genres und Themen überspannen ein gewaltiges Spektrum. Avantgarde nannte man das früher. Für viele Geschmäcker findet sich Augenfutter. Von kleinen Gags über Poesie bis zur Superheldenpersiflage reicht die Schaffenskraft. Schönheitswahn wurde kritisiert, Menschen wurden erdrosselt, Werbung persifliert. Ernsthaftes ist Mangelware. Beliebte BDFA-Genres fehlen hingegen völlig. Die jungen Leute machen keine Reise-, Familien-, Folklore- oder Tierfilme. Zu wichtig ist vielen das Filmemachen, als dass sie es nur als Hobby verstehen würden. Solche engen Zuschreibungen finden viele obsolet. Hybris der Jugend.
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Ansturm auf Registrierung
Keiner hier lebt ausschließlich vom Filmen, was man bei Profis hingegen annimmt. Kaum einer fragt überhaupt danach, womit man sich finanziert. Wichtig ist uns das Hier und Jetzt. Auch der klassisch bedeutungsschwangere Studenten- oder Animationsfilm taucht beim KinoKabaret fast nicht auf. Es fehlt schlicht die Zeit dafür.

Wenigen vergönnte die Natur oder Erziehung das Regietalent, aber Kameras sind kinderleicht zu bedienen, wenn man Schulterstative ausleihen kann. Und ein Haufen spielbereiter Mimen drängelt sich ins Bild. Welche Teamkonstellation bringt das ergreifende oder belustigende Werk ins Kino? Wie kommt der Film außerhalb der eigenen Zielgruppe an?

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KinoLab (Schnittraum)
Wir üben uns statt auf den Geniestreich zu warten in Inszenierung oder Kunstfertigkeit mit Bild, Musik und Ton. Vieles hat kein echtes Drehbuch, wird aber trotzdem gedreht. Übermut und Ulk kommen dabei heraus. Einfach weil man Lust hat, weil man eine Idee konkretisieren oder mit Bildern provozieren will. Die Gruppendynamik erzeugt starke Identifikation und Gefühle der Zugehörigkeit.  Ausprobieren, justieren, weiterprobieren. Film im Larvenstadium. Ein Afrikaner bot von sich aus Schauspielübungen der Meissner-Technik an. Wir atmeten tief ein und aus, sahen uns lange in die Augen und ließen Emotionen fließen. Grandios!

Oft mag sich das Publikum fragen, wozu der einzelne Film gut sei, warum er überhaupt entstand. Die Regisseure bleiben uns die Antwort schuldig und lernen ihre eigenen Grenzen kennen, um sie bald zu erweitern. Sie begreifen, dass man sie nach Intentionen fragen und mit Geschmacksurteilen bewerfen wird. Schon flimmert aber der nächste Versuch über die Leinwand. Solche Vorstellungen dauern gut und gerne drei bis fünf Stunden.


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Filmabgabe im Kino
Im Trend lagen dieses Jahr verstärkt erotische Themen, was vielleicht and der großen Zahl Franzosen lag, die uns besuchte. Erstmalig tauchten 8mm-Filmer auf, die einen Duschraum in ein Labor verwandelten und vor ihren Kameras junge Wilde masturbieren ließen. Auch experimentelle Musikvideos erfreuten das Ohr, Dramen und Gewalt ließen uns zusammenzucken. Manch einer probte Interaktivität im Kino aus oder verweigerte sich künstlerisch. Die allermeisten verarbeiten ihre Mediensozialisation anhand eigener Präferenzen zu Hackfleisch, ignorieren Regeln der Kameraführung, Regie und des Schnitts. Sie drehen erst und denken später drüber nach. So ist der Rausch auch eine Sackgasse für Anspruchsvolle. Perfektionisten werden schlichtweg nicht rechtzeitig mit ihrem Projekt fertig und versprechen, es irgendwann zu schneiden. Manche übertreiben so sehr, dass sie sich beim Dreh verletzen oder vom Drehort verjagt werden. Das KinoKabaret stutzt Erwartungen zurecht.

Narratives nimmt mit 20 % traditionell eher eine Nische ein. Da hilft alles Mahnen wenig. Das Publikum muss da durch. Allerdings sitzen im Publikum zu 95% Teilnehmer der Veranstaltung, was natürlich jede Menge Applaus selbst für den Trash beschert.
 
Das KinoBerlino Team betreute die Veranstaltung wieder vorbildlich. Noch während des Workshops trat jemand der Organisation bei und leistete freiwillig Dienst im Büro und an der Bar. Allen gelten mein Dank und meine Hochachtung. Was machen wir zum 10. Jubiläum 2013? Für Vorschläge bin ich offen.
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Festivaldirektor Dave Lojek

Hier darf man gerne in unsere Arbeiten hineinschauen:
www.vimeo.com/groups/kinoberlino

KinoKabarets gibt es auch in Wien, Hamburg, Mainz, Dresden, Jena, Prag, Brüssel und vielen weiteren Städten in Mitteleuropa.  www.kinokabaret.org

Jeder Filmer ist willkommen, der sich daran beteiligen möchte. Traut Euch!

Fotos: Sophie Stallegger & Guglielmo Pinsone

21. August 2012

Das Leben besteht aus Umzügen


Filmbesprechung von Sophie Stallegger

„3 Zimmer/Küche/Bad“ ist nach „Renn, wenn du kannst“, der neue Film von Dietrich Brüggemann und erzählt vom Umziehen.

Ein Jahr lang verfolgt die Komödie quer durch Deutschland acht junge Menschen, die sich gegenseitig die Umzugskartons tragen und alles andere als sesshaft sind. Es handelt sich um ein Netzwerk aus Freunden, Geschwistern, Beziehungen und WG-Mitgliedern, das kettenreaktionsmäßig in ständigem Wandel der Beziehungen und Wohnungen trotzdem noch zusammenhält. Die Hommage an den Umzug kann als Sinnbild der Endzwanziger-Generation verstanden werden.

"3 Zimmer/Küche/Bad" ist ein gutes Beispiel für einen Ensembleschnitt, der permanente Dynamik in verschiedenen Handlungssträngen haarscharf zurechtrückt, ohne dabei ins Oberflächliche überzugehen.
Die sehr direkten Dialoge verleihen dem Film dabei die humorvolle Leichtigkeit und die philosophische Note, während in den kurzen Atempausen ein wunderbarer Soundtrack für gute Stimmung sorgt.

Die ersten Konflikte beginnen bei den Auszügen aus der chaotischen Studenten-WG ins ernüchternde Partnerleben im Herbst. Im Winter um den Heiligabend herum spitzen sich die Konflikte in allen Haushalten auf den Höhepunkt zu, bis die Umzüge im Frühling langsam ins Absurde überdriften, da sich immer mehr Menschen in die Handlung involvieren.
Da denkt man mit leicht schwindligem Gefühl irgendwann „Jetzt passieren aber langsam zu viele Dinge auf einmal“, aber genau dadurch schafft es der Film, das Thema auf den Punkt zu bringen: Wir leben in einer Generation des ständigen Wandels, wo man zwischen Heimat, Studienplatz und Partner(n) hin und her gerissen ist und sich irgendwann selbst nicht mehr auskennt, wo man eigentlich hingehört.

„Nur wer sich stetig verändert, kann sich selbst treu bleiben“ so das Motto des jungen Designers (Robert Gwisdek), der eine der Hauptrollen spielt. Alles kann und muss sich in jedem Moment ändern und nichts ist der Beständigkeit verpflichtet. Das erkennen nicht nur die jungen Erwachsenen sondern auch deren Eltern. Denn auch wenn man mit dem Alter sesshafter wird, kann eine langjährige Ehe eines Tages zu Bruch gehen und es gibt keine richtige Lösung dafür. „Das Leben ist wie eine auf dem Dachboden gefundene Maschine“, erklärt der Vater seinem Sohn, „bei der man weder weiß, wie sie funktioniert, noch wofür sie da ist. Aber man kann immer wieder neu herumprobieren, um sie eines Tages – ebenso mit fehlender Bedienungsanleitung – an seine Kinder weiterzugeben.“

Der Film zeigt sehr schön, was bei all dem Trubel letzten Endes zählt: Ein beständiger Kreis von Menschen, die dir metaphorisch gesehen jederzeit beim Tragen deiner Umzugskartons helfen. Das was früher die Familie war, sind heute die Freunde.

Vor allem jene, die dieser bewegte Lebensstil an sich selbst erinnert, sollten „3 Zimmer/Küche/Bad“ auf keinen Fall verpassen. Auch für alle anderen bietet der Film mit aktuellem Thema durchaus Unterhaltung - zwischen Authentizität und Überspitztheit bringt er jede Altersklasse zum Lachen.
Zusätzlich glänzt die 118 Minuten lange Komödie nicht nur durch den knackigen Schnitt, sondern auch durch die schauspielerische Besetzung: Jacob Matschenz, Robert Gwisdek, Leslie Malton, Alice Dwyer, Aylin Tezel und Anna Brüggemann hatten hier einen großen Auftritt.

Ab 4. Oktober in deutschen Kinos.

17. August 2012

PARODY OF A VAMPIRE: DARK SHADOWS

Tim Burton’s Adaptation of the Bloodsucking-Genre

http://ia.media-imdb.com/images/M/MV5BMjc0NzAyMzI1MF5BMl5BanBnXkFtZTcwMTE0NDQ1Nw@@._V1._SY317_CR0,0,214,317_.jpgby Aude Mikhaelle Marty

Dark Shadows is the latest Tim Burton movie from 2012. He adapts a television series by the same title - as the third remake. One more time Burton casts Johnny Depp for the main role. The original cast has cameos.

Barnabas Collins, a young man from a wealthy family falls in love with Josette. He is turned into vampire by the witch Angelique in 1780, who also kills Josette. Jealous Angelique goes on to rule the little fishing town, after the vampire is put into a coffin and buried.
Construction workers unearth him in 1972, so he can take revenge, after having drunk the workers. He also discovers the descendants of his family and moves in with them. His presence brings some adventure into their decadence and rock music era. They accept him, because he promises wealth. Michelle Pfeiffer, Eva Green, Jonny Lee Miller and Christopher Lee belong to the cast. So Depp could learn a lot from one of the greatest and most expericenced vampire-actors of all time.

We find a lot of references to the past Burton / Depp films. For instance, the way Johnny Depp moves his fingers very slowly reminds us of the vampire Bela Lugosi in Ed Wood, released in 1994, almost 20 years ago. Ed Wood, played by Depp, was amazed about the way Lugosi, the vampire, was moving his fingers. In Dark Shadows, Depp plays a vampire himself and is moving just like Lugosi was, as if Lugosi was his teacher who showed him the right vampire gesture.
The long nails refer as well to Edward Scissorhands, of course, and also to Sweeney Todd, where Depp is waving the knife in the air and is saying that his hand is complete.
There are a few vampire clichés in Dark Shadows, such as the way Collins (Depp) is biting his victims, with his mouth and eyes wide open. The title Dark Shadows itself is a cliché of vampire movies and sounds a bit like a parody of horror films.

As always, Johnny Depp makes us laugh. His character, Collins, is totally put back.
Indeed, he was living in the 1880s and has to live in the 1970s, which creates a deep gap between his tradition and his surroundings. This gap is interesting and shows how custom has changed. Just like in Edward Scissorhand, Johnny Depp has to live in a world where he does not belong and where he is totally different from the others.

Helena Bonham Carter, who plays the psychiatrist Dr. Hoffman, is once again a part of the film and brings humor, too. She tries to become a vampire herself. Those two characters stick out because of their eccentric style. Vampire, werewolf, witch, old castle, all those elements are present in the film, as well as something modern and anachronistic: rock music.

Instead of hearing the sound of an organ or of violins, we can enjoyrock music, performed by an icon of horror, Alice Cooper himself.

Therefore Dark Shadows differs from horror movies because it’s a comedy which plays with different eras, mixing them together and creating a funny gap. Like in Sleepy Hollow, Burton uses very spooky scenes, especially in the end, where the effects scare and amaze us. Dark Shadows entertains fantastically: Another successful Burton / Depp collaboration, which shows a vampire with a new point of view. It takes the famous clichés and puts them into a funny parody. The film cost just $ 150 m. Here are the full credits.



Score: * * * *


19. April 2012

One Day On Earth - Weltweit schauen am 22. April

Die Welt wird abgefilmt

Dieses Projekt zeigt uns die Welt durch die Augen hunderter Filmemacher, die am gleichen Tag alles drehen dürften, was sie wollten. 
Daraus entstand nach langer Schnittarbeit diese Collage in Spielfilmlänge.

Wer es nicht zu einer der öffentlichen Vorführungen schafft, kann sich trösten.
Der Film läuft auch online!


Global Screening on Earth Day 2012 announced!

Weltweite Vorführung des Dokumentarfilms über den 10.10.10.


Please visit www.onedayonearth.org/screening for information on how to participate.

29. März 2012

SPANIEN


Suchende in einem Erzählpuzzle


Filmbesprechung von Sophie Stallegger

http://www.wienerzeitung.at/_em_daten/_cache/image/wzo/0xUmFuZG9tSVYwMTIzNDU2N1nidusCFNxp3beGCRVnUonCaYJLYASiiJdbCyyEmL7iVOeUhM3TaLudS7j5vBlqAw==.jpgÖsterreich. Ein Fremder auf der Suche nach Spanien. Ein Familienvater auf der Suche nach mehr Glück im Glückspiel. Eine hübsche junge Restaurateurin auf der Suche nach Männern - aber nicht fürs Bett - und deren Ex-Ehemann auf der Suche nach ihr.
Der Film erzählt drei Geschichten von unterschiedlichen Charakteren, die an dem Problem der Sehnsucht, der Eifersucht oder der Spielsucht leiden und bis zum Ende daran kämpfen.

SPANIEN spannt sich an diesen drei Strängen entlang, ohne deren Zusammenhang weiter zu erklären. Wie ein Puzzle verbinden sich nach und nach einige der Szenen und erzählen die Geschichte zwischen dem Anfangs- und Endbild: Dem Zusammenstoß zweier Autos auf einer österreichischen Landstraße. Aus diesem flieht zu Beginn des Filmes ein geschmuggelter Moldawier - im Glauben bereits in Spanien angekommen zu sein - durch die österreichischen Landstraßen, und beginnt in einer Kirche zu arbeiten. Unabhängig davon entwickeln sich parallel dazu andere Geschichten.

Von jedem der Protagonisten wird mit der gleichen Schwere und Tiefe erzählt und keinem wird das Schicksal am Ende abgenommen. Teilweise verweben sich die Geschichten und kreuzen sich Charaktere, doch wird es generell dem Zuschauer überlassen, alle Zusammenhänge zu erkennen.

Ein großes Lob an die merkbar weibliche Regie von Anja Salmonowitz, die mit poetischer Langsamkeit von zwischenmenschlichen Beziehungen erzählt und jeder Szene gleich viel Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Einfühlungsvermögen schenkt.

Dennoch ist dies kein Film, aus dem man mit einer zufriedenen Leichtigkeit hinausgeht. Stattdessen wird man mit dem befangenen Gefühl der Protagonisten allein gelassen und trägt deren ungelöste Probleme noch nach dem Abspann mit sich mit.
Als wären die vorhandenen Puzzleteile am Ende des Filmes zwar alle an ihrem Platz, doch fehlten dazwischen noch einige Teile zur Lösung der Probleme.

Diese Erzählweise aber hat den Effekt, dass der Film nicht so schnell vergessen wird. Einzelne Geschichten kommen noch Tage später zurück ins Bewusstsein und liefern Anstoß zum Nachdenken.
Salomonowitz und Dinev zeigen so die Präsenz gewisser Probleme in unserer Gesellschaft. Darunter das Verschleppen von Ausländern, Verschuldung und das Überschreiten von Grenzen in familiärer Gewalt, sowie gescheiterte Beziehungen und die Suche nach dem Scheitern anderer.
Diese schweren Thematiken bleiben gemeinsam mit langen stillen Szenen in Kirchen oder der Beharrlichkeit und Geduld vom Restaurieren religiöser Statuen, sowie der sich im Film durchziehenden goldenen Farbe in Erinnerung.
Das Thema Religion steht somit als Gegenpol zu den ausweglosen Situationen und lässt sich als Antwort auf die ungelösten Probleme lesen.

SPANIEN bietet dem Zuschauer also ein berührendes Erlebnis mit geheimnisvollen Geschichten und prachtvollen Bildern, jedoch leider nicht genug Zeit, um jede einzelne der Geschichten ausführlich zu behandeln oder einen deutlichen Handlungsstrang zu zeigen.
Dadurch wirkt der Film wie ein Patchwork aus vielerlei Erzählstoffen, aus denen man vielleicht besser drei einzelne Spielfilme hätte fabrizieren können, als verschiedene in 102 Minuten verwebte Themen. Immerhin schaffte der Film es auf die Berlinale und Diagonale.



Regie: Anja Salomonowitz, Drehbuch: Dimitré Dinev & Anja Salomonowitz, 
Darsteller: Tatjana Alexander, Grégoire Colin, Lukas Miko, Cornelius Obonya, 
Laufzeit: 102 Minuten, 
Kinostart: 23.3.2012

10. Dezember 2011

THE GREATEST FILM CRITIQUE EVER WRITTEN

Ein Filmer wird zum Plakat für Markenprodukte, die er karikiert

POM WONDERFUL PRESENTS: THE GREATEST MOVIE EVER SOLD
eine freundliche Besprechung von FILM REPORT ermöglicht durch APEIRON FILMS und KinoBerlino

Ein spärlich bevölkerter Kinosaal in Berlin Friedrichshain. Freitagabend im Dezember 2011. Drei junge Frauen klettern auf die Bühne und kündigen einen Dokumentarfilm an. Zwei der Damen halten Plakate von Saxoprint hoch und laufen damit auf der Bühne aufreizend aber pikiert hin und her. Die dritte Frau (Festivalleiterin Anna Winkler) erwähnt diese Firma etliche Male und liest deren Werbeflyer vor. Die Präsentation erheitert, denn wir sitzen im 1. Internationalen Comedy Film Festival. Da ist Übertreibung geradezu Pflicht. 

http://www.contentmediacorp.com/common/file.php/pg/localhost74/contentfilm.com/binaries/3141/imageWie finanzieren sich Filme und Sendungen heutzutage? Genauer: Was sind Product Placement, Werbung, Marketing? Welche Auswirkungen haben sie auf Menschen, Meinungen, Integrität? Der durch den Fast Food Schocker SUPER SIZE ME bekannt gewordene amerikanische Dokumentarist Morgan Spurlock widmet sich diesen ökonomiekritischen Fragen in einem unterhaltsamen und lehrreichen Experiment. Da gehen die Augen auf und die Kinnlade klappt herunter.
Seine Grundidee ist, dass er charmante 1,5 Millionen Dollar von Firmen einsammeln möchte für genau diesen Film, der sich mit der Markenmacht und Omnipräsenz von Produktnamen in der Unterhaltungsindustrie befasst. Beispiele sind Blockbuster und Großproduktionen, die einerseits Produkte im Film zeigen und sie so mit Charme, Coolness oder Sexappeal der Stars verkaufsfördernd aufladen, andererseits durch Cross-Marketing (Spielfiguren bei Fast Food Ketten, Sammeltassen etc.) den Filmerfolg zu sich selbst zurückholen und Kunden binden. Aber funktioniert das auch bei Autorenfilmen und Dokus? Kann Spurlock das Paradox erschaffen, dass sich Kapitalisten offen und wissentlich von ihm lächerlich machen lassen und dafür sogar bezahlen?

Spurlocks Team arbeitet klassisch: Die Kamera folgt dem Protagonisten und Regisseur in die Chefetagen, zu Anwälten, Werbefachleuten, Postermalern, Musikbands, Fernsehredakteuren, Lehrern, Regisseuren und dem Straßenvolk. Die interviewten Personen geben ihre Meinung und Erfahrung zu seiner Idee kund und entblößen so teilweise unabsichtlich sich selbst und ihre Lebenseinstellung. Der Film handelt fast ausschließlich davon, wie Spurlock Strategen nach einer Verkaufsmethode befragt und wie er von Firmenchefs und deren Werbefachleuten Geld einsammelt oder zumeist herauskomplementiert wird.
Selbstreflexiv treibt Spurlock diese Methode auf die Spitze und sieht ein, dass er selbst zur Marke werden muss. Zunächst bekommt er sehr viele Ablehnungen von Firmen, deren Logos er ständig einblendet und so negativ darstellt. Das kennt man von Michael Moore. Nennen wir es: Den Profiteuren den Spiegel vorhalten. Man soll um Spurlock bangen und sich vor feindlichen Anwälten ängstigen, die ihn verklagen könnten, wie es in Amerika wohl üblich ist. Wird der Film scheitern?
  
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Morgan inszeniert sich leicht irritiert und zunehmend verzweifelt in Geschäften vor Regalen und hält zufällige Produkte ins Bild. Eines davon ist ein Pferdeshampoo, das auch Menschen benutzen können. Der Clou ist, dass Morgan zum Ende des Films hin mit dieser Firma spricht und für sie einen Werbspot macht. Darin sieht man ihn in einer Kamerafahrt mit Schaum im Haar, dann seinen nassen Sohn und schließlich ein shampooniertes Ponny zusammen in der Badewanne. Putzig! So funktioniert THE GREATEST MOVIE EVER SOLD.

Hoffnung macht Spurlock eine Fast-Food und Tankstellenkette, die ihm 100.000 $ geben. Im Gegenzug isst er im Film deren Burger bei Interviews in ihren Filialen und tankt seinen gesponserten Mini-Cooper nur bei ihnen. Weitere 50.000 $ bekommt Spurlock von einer Deodorant-Firma. Später sieht man das Produkt auf dem Tisch beim Interview mit Quentin Tarantino.
Aber der Knaller ist POM, ein Fruchtsaft aus Granatäpfeln. Ganz leger luchst Spurlock dieser Firma eine Million Dollar ab. Dafür tauchen sie nicht nur im Filmtitel auf. Er trinkt vertraglich gebunden nur noch ihren Saft im Bild, macht alle Konkurrenzprodukte unkenntlich, trägt einen Anzug mit ihrem Logo, das auch auf seinen Postern und Autos erscheint.
Zudem baut er direkt im Film drei selbst gemachte Spots für POM WONDERFUL ein, in denen er vergleichende Werbung macht. Zwar lehnt die Firma seine anzüglichen Entwürfe (mit Monster-Erektion) ab. Aber sie bezahlt einen marketingkritischen Film.
Spurlock brüstet sich damit, den ersten Dokumentarfilm mit integrierten Werbespots geschaffen zu haben. Er wirbt auch für eine Hotelkette und inszeniert sich in deren Bademantel in Slow-Motion schlendernd und genießend. Er benutzt nur eine einzige Fluggesellschaft und bastelt mit seinem fotogenen Kind einen Spielzeugflieger. Spurlock erscheint auf allen Bildschirmen in den Flugzeugen, findet sich auf Sammeltassen, Aufstellern, Postern, Werbeflächen und Großtransparenten. Er wird zur Litfasssäule, zum Logo-Mannequin, zur Selbst-Satire in Talkshows. Sogar in Schulen dürfen Fernsehsender Werbung in den USA ausstrahlen. Die Schulleiter kämpfen mit Budgetkürzungen und suchen händeringend nach legalen Finanzierungsmethoden durch Werbung. Das ist bitter.

Als Kontrastbeispiel recherchiert Spurlocks Team eine Großstadt, in der jedwede Außenwerbung verboten und abmontiert wurde. Sao Paulos Bevölkerung wird nicht jede Sekunde in der Öffentlichkeit von Logos, Postern und Leuchtreklame malträtiert und lobotomisiert. Man sieht eine Millionenmetropole, deren graue Hauswände frei von Produkthinweisen und Kaufanreizen sind. Politiker, Händler und Bürger berichten, wie das ihr Leben veränderte. Die Bürger freuen sich über weniger Ablenkung und Augenfrieden oder Kunst und Graffiti. Ihr Selbstwertgefühl steigt durch die Abwesenheit der Photoshop-verschönerten Supermodels und Stargesichter. Die Politiker zitieren Zufriedenheitsumfragen mit 90%. Viele Händler weichen auf Mundpropaganda und Schaufensterdekoration aus. Ihre Marken sind ja ohnehin schon im Unterbewusstsein der Konsumenten angekommen. Es geht also auch ohne permanente Markenhypnose in der Öffentlichkeit. Daran sollte sich Berlin ein Beispiel nehmen!

Wie wir aus unseren Seminaren und Lehrbüchern wissen und durch Talkshows, Feuilleton und Diskurse reflektieren, versucht Marketing in einer Welt der Überinformation, Diversifizierung, Online-Migration und Überproduktion dem Aufmerksamkeitsverfall und der Überalterung der Konsumenten mit Witz, Unterschwelligem, Plattem, Hypnose, PLP, Lügen oder Halbwahrheiten zu begegnen. Ziel von Webung und Politik ist ja, Menschen zum Konsum, zur Wahl zu bewegen und sie langfristig zu binden. Wiederhole deine Botschaft lange genug, um den Widerstand zu brechen! Tu es emotional und mit Klischees; magnetisiere mit Berühmten und Glücksversprechen!
Seit wir das wissen, sind wir keinesfalls alle immun. Aber wir können entscheiden, uns dem Mechanismus weniger auszusetzen oder ihn für unsere Zwecke anzupassen. Wenn Sie bis hierher lasen, interessieren Sie bestimmt auch einige der anderen Texte auf FILM REPORT. Einfach den Wunschtitel rechts klicken und cineastischer werden!

Was bei Leistungssportlern schon lange Usus ist, übernimmt Morgan Spurlock im Selbstversuch auch für den Dokumentarfilmbereich. Ob Werbung generell lügt oder ob Produkte glücklich machen, wird kaum kontrovers diskutiert, lediglich angeschnitten. Wir manipulieren uns alle ständig. Wir nennen es Gesellschaft. Produzenten nennen es Markt. Einige Strategen konditionieren unsere emotionalen Kaufreflexe. Wenn man glaubhaft sein will, braucht man Sichtbarkeit. So der Kernsatz eines Werbefuzzis in Miami. Spurlock kommentiert das nur, indem er es konsequent übertreibt und sich manchmal fragt, ob er sich nun verkauft hätte. Ja. Hat er. Aber für einen guten Zweck und mit erstaunlichem Ergebnis.
Selbst wenn nur einige der Zuschauer ab jetzt bewusster mit den Mechanismen der Marken-Strategen umgehen oder politisch aktiv werden, hat der Filmer sein Ziel erreicht. Wünschen wir ihm das Beste, vollere Kinosäle und einen stets gut mit Saft gefüllten Kühlschrank!

Der Name Spurlock taucht 15 Mal in diesem Artikel auf und verstärkt so das Branding!

Das Comedy Film Festival wurde laut Katalog zu 100% durch Crowdfunding finanziert bei Startnext. Ein Team von 24 Leuten brachte Freunde, Familie und Cineasten im Internet dazu, der Komödie in der Berliner Festivallandschaft durch Spenden eine Nische zu erobern. Wenn das bei kleinen Filmprojekten, Theatern oder Bands funktioniert, warum dann nicht auch bei einem Festival?
Eine Woche lang flimmern Lustiges und Absurdes, Schmunzelstoff und Schenkelklopfer über zwei Leinwände im Filmtheater am Friedrichshain. Hingehen und Lachen heißt also die Devise. Das hält gesund, trainiert das Zwerchfell, schüttet Glückshormone aus und macht eine zweite Auflage des Festivals möglich. Mit den Füßen abstimmen! Die Filmauswahl orientiert sich an Festivalerfolgen und dem Kuratorengeschmack. Willkommen in der Stadt mit fast täglichen Filmfesten! In der Flimmerkiste der Republik.

28. November 2011

interfilm 2011 Festivalbericht


Triumph des kleinen Films über Großbudgetproduktionen

http://www.interfilm.de/fileadmin/OrdnerRedakteure/1_interfilmFestival/Downloads_2011/if27_plakatmotiv_dina1_3c_72dpi.jpgZum 27. Mal feierte sich im November die internationale Szene auf Berlins wichtigstem Festival für Kurzfilme. Die Leistungsschau der fleißigen Bastler und tiefgründigen Grübler, der talentierten Unterhalter und frechen Schockierer mauserte sich über die Dekaden vom Wohnzimmerfest zur stilbildenden Instanz. Dem weit gereisten Festivalgründer Heinz Hermanns verdankt Berlin das alljährliche Erstarken einer Mediengattung, die sich wie ein Chamäleon der Zeitgeschichte anpasst, bisweilen dem Fernsehen und Kommerzkino weit voraus ist.

interfilm 2011 unterhielt und überraschte, bewegte und beschallte das Publikum von ca. 16.000 Cineasten (gemeint sind Eintrittskarten) und Fachbesuchern über 5 Tage. Die Zahl klingt hoch. Allerdings gab es 110 Programmblöcke zumeist in kleineren Babylon-Kinos und über 500 Akkreditierte, die zu allen Programmen umsonst Zugang hatten. Wie viele Karten tatsächlich verkauft wurden, bleibt geheim.
Aus nur 7000 Einsendungen pickten die gebeutelten Sichtungsrunden seit dem Frühling immerhin 500 Werke heraus, die sie in Wettbewerben und Themenschwerpunkten wie Schweiz, Gewalt, Asien oder Musikvideo bündelten zu mitunter recht langen Programmblöcken. Wie üblich bekam man reichlich herkömmliches Material aus Filmschulen und von teuren Produktionen zu sehen. Sauber strukturierte Dramen und liebevolle Dokumentationen, kunstbeflissene Experimente und Animationen, Sendefähiges, Skurriles und Absurdes. Zudem gab es virale Internetwerbeclips, frisch gebastelte flinke Gruppenarbeiten, eine Netzwerkbörse und Partys mit Engel Angela.

Bei einer Kritikerrunde aus Journalisten (Radio, Zeitung, Blogs) erfuhr man, warum es eigentlich fast keine regelmäßigen Kurzfilmkritiken zu lesen oder hören gibt: Im kommerziellen Kino werden so gut wie nie Kurzfilme gezeigt. Sie sind auf spezielle Festivals, Arte und Alex TV sowie das Internet beschränkt. Obgleich beliebt und mannigfaltig (siehe vimeo und Youtube), haben Kurzfilme als eigenständige Kunstform keine große Lobby und sind oft nicht vermarktbar. Trotz intensiver Bemühungen seitens Initiativen wie KURZ VOR FILM oder der KurzFilmAgentur  bleibt Produktwerbung für Kinobetreiber eben einträglicher.
Harvie KrumpetDie Kritiker präsentierten jeweils ihre Lieblingsbeispiele. Insbesondere der Animationsfilm HARVIE KRUMPET blieb mir dabei in Erinnerung, der mit der Stimme von Geoffrey Rush die Lebensgeschichte eines traurigen polnischen Einwanderers in Australien zusammenfasst. Keiner der Kritikerkollegen schien selbst Erfahrung als Kurzfilmer zu besitzen. Da beurteilt man dieses Genre natürlich anders als jemand, der wie ich über 100 eigene Werke in der Filmographie zählt.

Erfreulich bei interfilm war mithin der Trend zu selbst gemachten unterhaltsamen no-budget Streifen bei den Gewinnern. Selten konnten Jurys so überzeugen. Dementsprechend gelungen mutete die Abschlussvorstellung an.
Nun sehen Sie Folgendes
Nun sehen Sie Folgendes
Die Sensation war sicherlich der Gewinner der lärmenden eject-Veranstaltung für abwegigen Humor NUN SEHEN SIE FOLGENDES von Stephan Müller und Erik Schmitt. Darin kommentiert ein Sprecher eine Alltagsbegebenheit um einen jungen Mann mit Pappkuchen, dessen wartende Oma, sowie eine mysteriöse Filmschönheit und den obligatorischen Detektiv, der den Mann verfolgt. Was hat er denn verbrochen? Warum tarnt er sich mit weißer Kleidung im Schnee?
Der Film nimmt sich selbst nicht ernst und man hört den Sprecher über Kameraeinstellungen und das Stativ im Bild schmunzeln. Inspiriert wurde dieses Kleinod gewiß von einem 2007 beim Berliner KinoKabaret entstandenen sehr ähnlichen Kurzfilm. In Leopold Leskovars FILMFEHLER belehrte uns ein von Marten Münzberg verkörperter Erzähler bereits über Achsensprünge, Detailveränderungen im Schnitt oder andere (un)absichtliche Patzer anhand einer nachgestellten Seifenoperszene mit der griechischen Schauspielerin Anatoli Tsampa.

Stephan Müller gewann übrigens nicht nur die 1.000 € beim interfilm Publikumspreis eject, sondern kürzlich auch noch den mit 30.000 € dotierten Deutschen Kurzfilmpreis in Gold. Das ist die höchstmögliche Auszeichnung für Kurzfilme in diesem Lande. Endlich mal ein Preis, der die Produktionskosten des Films ums hundertfache übersteigt und bei dem Entscheider und Festivalpublikum dakor gehen. Bravo! Müller machte ja bereits auf vielen kleineren Festivals Furore mit seinem feinen Humor und putzigen Fotofilmen; er drehte auch Werbefilme und Trailer. Jetzt darf man sicherlich auf weitere Werke von seinem Team hoffen.
Gran CarreraDen besten internationalen Wettbewerbsfilm sah die Jury in LA GRAN CARRERA von Kote Camacho. Darin wird ein Pferderennen gezeigt in künstlich auf antik getrimmten schwarzweiß Bildern. Obwohl das Publikum im Film anfangs geschockt ist, weil die Reiter allesamt in der Startbox am Galgen baumeln, fängt sich die Menge zum Ende des Rennens und fiebert wieder mit den rasenden Pferden mit. So sind die Menschen eben manchmal.
Auch hier sprach der spanische Regisseur bei der Preisverleihung darüber, dass der Film viel weniger als die vom Medienboard Berlin-Brandenburg gespendeten 6.000 € Preisgeld gekostet habe. Hut ab für die freie Filmszene, die statt mit teurer Technik mit Ideenreichtum punktet. Das ermutigt gewiss viele, die unter Fördermittelmangel leiden. Kurzfilme macht man selten aus Profitinteresse, von Werbung und Musikvideos abgesehen.
AtlasSogar im Deutschen Wettbewerb setzte sich mit ATLAS von Aike Arndt ein putziger kleiner 2D Animationsfilm gegen zahlreiche anstrengende Schauspielfilme durch. ATLAS hatte ein sehr überschaubares Team. Während die griechischen Götterpüppchen im Olymp (einem kleinen Tempel) feiern, schultert Atlas den ganzen Kosmos. Ab und an rutscht ihm die Last weg, woraufhin der Olymp wackelt und Zeus den Hermes herunterschickt, um Atlas zu helfen oder zu maßregeln. Eine Hubschrauberschildkröte ohne mythologisches Pendant begleitet Hermes als Werkzeugkiste. Sehr putzig! Einer der Zeusblitze löst dann unabsichtlich die Evolution aus. Zu Atlas Füßen krabbeln Urtiere aus dem Wasser, werden zu Sauriern und schließlich Menschen, die in Zeitraffer bis zu Wolkenkratzerbauern heranwachsen. Arndt weist mit seinem Zeichentrick darauf hin, dass man nicht immer auf seine Macht pochen und delegieren sollte sondern manchmal auch selbst mithelfen könnte, um die Welt zu balancieren. Immerhin 2.000 € durfte der Regisseur    entgegennehmen.

Auf einer Exkursion zur Filmtonpostproduktionsfirma ROTOR FILM in Potsdam Babelsberg bekamen die Teilnehmer bei einer Hausführung Einblicke in die Arbeit von Geräuschemachern und Filmtonmischmeistern. Wir hörten einem Mann am Mischpult zu, wie er den schweizer Tatort mit der deutschen Tonspur mischte. In einem Kino vor Ort bewunderten wir ein riesiges Mischpult, auf dem ein französischer Filmtrailer für die kommerzielle deutsche Auswertung vorbereitet wurde. Derart große Filmtonstudios sind sehr rar in Europa. Der Ausflug lohnte sich für alle, die guten Ton im Film schätzen und vielleicht noch die passenden Experten dafür suchen!
SuikerDie internationale Jury kürte den Niederländer Jeroen Annokkée mit SUIKER (Zucker) zum Spielfilmgewinner. Der Preis umfaßt Postproduktion im Wert von 8.000 € von Rotor Film. SUIKER handelt von einem Unglück, dass der leichtbekleideten Nachbarin des Protagonisten widerfährt. Sie fällt die steile Treppe im Haus hinunter und der Nachbar kommt in zweideutige Schwierigkeiten. Rasant und urkomisch punktet diese schwarze Komödie mit einem Gaggewitter ohne viele Worte aber mit um so mehr Haut und Peinlichkeiten.

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Léo l'impassible
Léo l'impassibleSogar ein KinoKabaret-Film schaffte es dieses Jahr in den internationalen Wettbewerb. LÉO L’IMPASSIBLE von Nicolas Apicella aus Montreal zeigt uns ein typisches amerikanisches Restaurant. Alle Gäste haben nur eine Grimasse. Zwei Freunde unterhalten sich über eine skurrile Apparatur, die nach belieben Gesichtsausdrücke produzieren kann und so mehr Ausdrucksmöglichkeiten schafft. Zwar sind die Resultate beim Prototypen noch recht krude, aber immerhin kommen sich Leo und seine schüchterne Herzensdame so näher. Der Charme dieser Komödie liegt in originellen Fratzen und liebevollen Details, der knappen Handlung und den bunten Bildern. Das beeindruckt umso mehr, wenn man weiß, dass der Film innerhalb von 3 Tagen ohne Budget beim KinoKabaret Montreal entstand, der Geburtsstätte der weltweiten Kino-Bewegung!

Al servizio del cliente

Al servizio del cliente

Wer nachts einkauft, findet oft menschenleere Supermärkte vor. Das kann angenehm oder beängstigend sein. Einem motivierten Team von Angestellten eines solchen Landens kam die Idee, dem Liebeszufall der Kunden etwas nachzuhelfen. In WE LOVE OUR CLIENTS von Giuseppe Tufarulo aus Italien bauen Verkäufer und Regalauffüller unter der Ägide des Sicherheitschefs an den Überwachungskameras für die einsamen Kunden einen Parcours auf, der sie zusammenstoßen lässt. Dazu spielt romantische Musik. In nur 5 Minuten entfaltet dieser Kurzfilm ein sehr putziges Konzept und hinterlässt beim Publikum ein breites Grinsen.
Zu weiteren Höhepunkten des Festivals zählten: LUMINARIS von Juan Pablo Zaramella,  NU von Alexandre Tisseyre, HACKNEY LULLABIES von Kyako Miyake, HOW TO RAISE THE MOON von Anja Stuck, THINGS YOU’D BETTER NOT MIX UP von Joost Lieuwma, TECLOPOLIS von Javier Mrad sowie DIE ÜBERFISCHUNG DER MEERE von Uli Henrik Streckenbach.

1. Juli 2011

8. Internationales KinoKabaret Berlin 2011

Let the show begin!

Dear Kinoites and film enthusiasts.

We are happy to invite you to our 8. International KinoKabaret Berlin.

September 2 - 11. Jugendclub ELOK. 3 rounds.

You make the films, we present them in the cinema. Please write your scripts before you arrive!




See you in September!

KinoBerlino - We connect you!

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Hallo ihr Kinoiten

Unser KinoKabaret in Berlin findet vom 2.-11. September 2011 im Jugendclub ELOK statt. Hier steht alles drin:



Bis 20. August nehmen wir die Anmeldungen entgegen!

Wir freuen uns auf euch und eure Ideen!
(Ja, Regisseure sollten ruhig schon mal Drehbücher mitbringen und sofort loslegen!)

22. März 2011

Berlinale Abschlussbericht 2010 Teil 2


PANORAMA | PERSPEKTIVE | SHORTS | FORUM

Was gab es im PANORAMA neben den üblichen Gender-Filmen zu sehen?
Andy Serkis, der sich als Gollum und King Kong bei Peter Jackson profilierte, tritt ganz ohne Spezialeffekte und lediglich mit einem Hinkebein in SEX&DRUGS&ROCK&ROLL als Ian Dury auf. Diese flippige Biografie von Mat Whitecross nimmt es nicht so ganz genau mit der Wahrheit und bebildert das Leben eines exzentrischen englischen Sängers. Serkis gelingt dabei die Erschaffung einer zwiespältigen Figur, die einerseits verheiratet ist und einen Sohn zeugte, andererseits mit einer viel jüngeren Afrikanerin in einer langen Beziehung zusammenlebt und auch gerne Drogen konsumiert. Dury erlebt in der Punk-Ära mit seinen Bands sowohl Hochs als auch Tiefs. Er meisterte die Selbstinszenierung und scheitert an der Welt und seinen Süchten. Der Film springt wild in den Zeitebenen herum und zeigt einen Mann, der durch frühe Polioschädigung viel Häme einsteckte, bevor er zum Exzentriker wurde. Sehenswert.

Der Derwisch und Wunderheiler KOSMOS kommt in eine kleine türkisch-bulgarische Grenzstadt und rettet Leben. Er spricht die Krähensprache mit einem Mädchen. Ein Krieg tobt in Hörreichweite und viele alte Menschen suchen Kosmos auf. Als Dieb und Liebessucher eckt er aber auch an und wird wieder verjagt (siehe lange Rezension).

Das man aus Müll Kunst machen kann, beweist der Dokumentarfilm WASTE LAND von Lucy Walker. Der brasilianische Künstler Vik Muniz fotografiert Müllsortierer auf der größten Deponie der Welt in Rio de Janeiro. Dann projiziert er die Fotos in einer Halle auf den Boden und die Projektteilnehmer legen ihre Portaits mit kleinteiligen Müllobjekten nach. Zum Schluss fotografiert Muniz das Resultat und verkauft großformatige Abzüge davon bei Auktionen. Das Geld teilt er sich mit den stolzen Teilnehmern, deren Leben sich im Laufe der langen Aktion wandelte. Sie sehen sich im Museum an der Wand hängen. Im Film erlebt man, was es bedeutet, auf einer Deponie zu arbeiten und wie es sich im sozialen Abseits anfühlt. Auf Texttafeln liest man, was aus den Menschen wurde. Wermutstropfen: Muniz' Frau ließ sich wegen der ethisch fragwürdigen Aktion scheiden. Aber seine Kunst wird weiterhin im sechs-stelligen Bereich gehandelt.

Miguel Albaladejo wollte mit NACIDAS PARA SUFRIR (BORN TO SUFFER) einen Liebesfilm ohne Küsse drehen, in dem keine Liebesschwüre ausgesprochen werden. Dazu wählte er ein kleines spanisches Dorf und sehr alte Protagonistinnen. Flora (Petra Martinez) macht sich über ihr Erbe Sorgen. Sie will ihren Nichten nichts hinterlassen, weil sie sie zwar aufzog, aber die Nichten sie nun in ein Altenheim geben wollen. Daher heiratet Flora ihre Haushälterin Purita (Adriana Ozores), damit sie alles erbe. Im Dorf sorgt das für einigen Wirbel. Diese Komödie strotzt vor Situationskomik und bombardiert die Zuschauerin mit vielen Wortwechseln. Allerdings findet keinerlei Intimität statt und die Zuneigung der beiden Frauen wird auf harte Proben gestellt. Puritas eigene kränkelnde Mutter usurpiert schließlich Floras Haus und verfrachtet sie doch ins Altersheim. Kann Purita das wieder geradebiegen?

Am freundlichen Kurierfahrer Aoyagi gibt es wenig Auffälliges. Er rettete lediglich vor ein paar Jahren eine Popsängerin vor einem Dieb, weshalb er kurz in den Medien erschien. Unsanft erwacht Aoyagi jedoch aus seinem GOLDEN SLUMBER, als man ihm das Attentat auf den frisch gewählten Premierminister anhängt, das er mit einem Spielzeughubschrauber und einer Bombe verübt haben soll. Er kann sich aber nicht daran erinnern und flieht also vor der Polizei. Darf er seinen Freunden vertrauen und vermeiden, zum Sündenbock und Ziel einer fabrizierten Menschenjagd zu werden?
Mit 139 Minuten geriet dieser Actionfilm von Yoshihiro Nakamura zwar etwas lang, gewinnt aber zum Ende hin an Dynamik und überrascht mit einfallsreichen Fluchtmanövern des Helden. Auf seinem Weg bekommt er von unerwarteter Seite Hilfe und inszeniert seinerseits ein gehöriges Feuerwerk. Seine Paranoia überträgt sich zunehmend aufs Publikum und erzeugt die bei Berlinalefilmen so oft vermisste Spannung.

In BRÓDER von Jeferson De bekommt der verschuldete Macu unerwarteten Geburtstagsbesuch von seinen Freunden Jaiminho und Pibe, die beide aus der armen Vorstadt von São Paulo fortzogen. Sie fahren durch die alte Heimat und haben Spaß. Leider ist Macu in eine Entführung verwickelt, um seine Schulden zu bezahlen. Seine Schwester ist vom Fußballprofi Jaiminho schwanger und Pibe heiratete Macus Exfreundin. Als er nach einer Planänderung den viel wertvolleren Freund Jaiminho entführen soll, muss er die schwerste Entscheidung seines Lebens fällen.
Bemerkenswert ist nicht nur die Handlung und lebensnahe Schauspielleistung, sondern auch die langwierige Entstehungsgeschichte dieses brasilianischen Films. Die Vorführkopie konnte nach vielen Produktionsjahren nur erstellt werden, nachdem die Berlinale den Film ins Programm nahm. Erst jetzt wird er auch in seinem Entstehungsland in die Kinos kommen. Dementsprechend glücklich waren die angereisten Protagonisten mitsamt Produzentin.


Aktuelle Studentenfilme versammelte wie üblich die PERSPEKTIVE DEUTSCHES KINO. Die Bandbreite reicht von klassischem Erzählfilm bis zur Dokumentation. Allerdings ist bei Studentenfilmen zu beachten, dass sie nicht immer kinotauglich sind, weil sie oft Grundregeln der Unterhaltsamkeit und Spannungsbögen missachten oder sich mit unentschlossenen länglichen Experimenten vor dem Diplom noch einmal eine stilistische Auszeit schaffen. Die Studenten werden später in den Medienalltag der Soaps, Reportagen, Fernsehserien und Talkshows gesogen. Redakteure diktieren ihre Rahmenbedingungen. Alljährlich bilden die Filmschulen 66 Regisseure und noch viel mehr Kameraleute und Cutter aus. In zehn Jahren sind das schon 660. Die Bewerberzahl auf diese Ausbildung steigt beständig und führt zu unfassbar arroganten Auserwählten. Dieser unschöner Kampf um Ressourcen und Netzwerke prägt den gesamten Filmnachwuchs.
Ein Studienplatz bedeutet zwar einerseits Zugang zu feiner Filmtechnik, Expertenwissen und den Aufbau eines professionellen Netzwerks, füttert jedoch den audiovisuellen Markt beständig nur mit relativ angepassten Absolventen. Viele träumten von Kinofilmen und enden als Lakaien. Extrem wenige schaffen es dann, dauerhaft kommerziell erfolgreiche Unterhaltung mit künstlerischem Anspruch abzuliefern. Die in Deutschland im Verhältnis zu Amerika und den Filmwilligen unwahrscheinlich knappen Produktionsressourcen liegen fest in der Hand etablierter Firmen und Förderungen. Daran wird sich kaum etwas ändern. Die Sendeplätze für den Nachwuchs liegen meist in der Nacht, wo mit Einschaltquoten kaum zu rechnen ist.

In LEBENDKONTROLLE hat der Endzwanziger Mark einen Tag Freigang. Er willigt ein, der Tochter seines Zellengenossen ein Geldpacket zu bringen. Leider findet er sie nicht in einem Hotel vor sondern in einem Puff und wird von ihrem Luden verprügelt. Als er so bei seiner Freundin ankommt, regt sie sich auf. Aber er will einfach nur Sex, auch wenn sie nein sagt. Das ist der Tiefpunkt. Seinem Zellenkumpel jedoch erzählt er eine andere Geschichte, die keine Unruhe aufkommen lässt. Das überrascht und macht den Film rund!
Bildtechnisch sehr elegant umgesetzt gelingt diesem Halbstundendrama eine ordentliche Struktur mit Situationen, die sowohl aus dem Leben sind als auch der Steigerung, die das Genre verlangt. Eine Jury aus jungen Franzosen und Deutschen vergab dafür den Preis Dialogue en Perspective. Weshalb es den Organisatoren der PERSPEKTIVE bisher nicht gelang, einen finanzkräftigen Preisstifter zu finden, wurde bei der Verleihung ebensowenig erklärt wie die Frage, warum Franzosen den deutschen Nachwuchsfilm beurteilen sollen.

Ebenfalls von der HFF kommt WAGs. Hier sind die Bilder mit einer RED ONE Kamera gedreht worden und haben noch hübschere Farben. Zwei Fußballerfreundinnen lernen sich kennen und erleben eine abwechslungsreiche Zeit zusammen in Berlin, bevor ihre Freunde zu anderen Clubs wechseln. Die beiden leben im Luxus und langweilen sich. Dina (Vesela Kazakova) ist aus Bulgarien und möchte der jungen Judith (Sonja Gerhardt) Alternativen zum Nichtstun aufzeigen. Wie wäre es mit Mode, für die Judith ein Talent besitzt? Das Beste an dem Film ist die Auslassung langer Passagen über Fußball. Die Frauen bieten genug Kontrast für die 40 Minuten, sowohl vom Schauspiel als auch vom Typ.

Eine Hommage an Mad Max heißt THE BOY WHO WOULDN'T KILL von Linus de Paoli. Darin wird eine postapokalyptische Welt gezeigt, in der den überlebenden Menschen die Zivilisation ein wenig abhanden kam. Der wortkarge Anjo lebt mit seinen Eltern und der Schwester in einer schmutzigen kargen Hütte mitten in einer Wüste (Drehort Rüdersdorf) und träumt von einer Stadt. Er kann nicht mal ein Huhn köpfen, während der Vater geübt einen Räuber von seinem Motorad schießt. Anjo schleicht ins Räuberlager und stiehlt Benzin. Leider nimmt ihm ein anderer Landpirat das Gewehr ab und erschießt die Mutter. Anjo soll nun für den Vater Rache üben, bleibt aber dem Filmtitel treu.
Besonders gelungen ist neben Ausstattung, Besetzung und Kameraarbeit auch der Soundtrack von Felix Raffel. Der Film lebt von der Musik und kommt ohne große Dialoge aus, denn er vertraut den Bildern und dem kulturellen Gedächtnis an die Mad Max Trilogie. Man hat das Gefühl, dass eine Zusammenarbeit der HFF mit der DFFB zum Vorteil für das Publikum wird.

In HOLLYWOOD DRAMA erleben wir einen Schauspieler, der vollkommen in seiner Nazi-Rolle aufgeht und gar nicht merkt, dass sein Filmteam ganz woanders ist. Als sein Regisseur für diesen Film einen Preis gewinnt und beide nach Hollywood übersiedeln, bekommt unser Overactor plötzlich Bedenken, weil er eine alberne Szene in einem Gemüsekostüm spielen soll. Allerdings sollte er sich lieber um den Praktikanten sorgen, welcher vergaß, eine Nachricht an die Sicherheit im Filmstudio weiterzugeben.
Der Film vom sehr jungen Sergej Moya karikiert die Zustände und Befindlichkeiten von Filmleuten. Er arbeitet mit einigen Tricks und gewinnt die Sympathie des Publikums mit einem deftigen Ende.

Ein Frisör erzählt seiner greisen Kundschaft in GLEB'S FILM seine Drehbuchidee über eine Romanze der ungewöhnlichen Art. Diese verändert sich fortwährend in einer Dokumentation, die ausschließlich im Hamburger Salon stattfindet. Leider fesselt das kaum.

Mit FRAUENZIMMER widmet sich Saara Alla Waasner drei Prostituierten, die in Berlin ihre Kunden aus sehr verschiedenen Milieus bedienen. Die Damen sind allerdings schon Großmütter und chargieren zwischen ihren Rollen. Vom Sex bekommt man nur minimale Tonaufnahmen mit, denn es geht der Regisseurin um das Leben der Sexarbeiterinnen und ihre Motivation. Eine Domina und eine Hobbynutte werden mit einer Bordellbesitzerin verglichen. Auch diese Dokumentation findet kein rechtes Zentrum, weist erhebliche Längen auf und hat so gut wie keine Erotik zu bieten. Aber immerhin erreicht sie, dass man das Wort Sexarbeiterinnen verwendet.

Das Mädchen JESSI besucht die Mutter im Gefängnis und die Schwester auf dem Lande zum Geburtstag. Dann macht sie einen Ausflug alleine und wird von der Ziehmutter vermisst. Jessi entscheidet sich für eine gewagte Frisur. Ein sehr schweigsamer Film ohne Spannungsbogen, der einfach nur auf das Mädchen zeigt. Wenn nichts Besonderes passiert, wozu dann einen Film machen? Das möchte man die Regisseurin Mariejosephin Schneider von der DFFB fragen und den verantwortlichen Lehrern mehr Sorgfalt in der Dramaturgieausbildung empfehlen. Bitte testet diese Studienarbeiten an einem Publikum, das nicht aus den Filmteams und Verwandten besteht.

Dem schwierigen Thema der Kindstötung widmet sich NARBEN IM BETON. Eine mit drei Kindern schon überforderte Mutter in einem Plattenbau entsorgt ihr frisch geborenes viertes. Als der Vater wieder einziehen will, nachdem er eine Sexaffäre mit einer Nachbarin hatte, unterbindet Anna dies (siehe Rezension).

DIE HAUSHALTSHILFE Martina aus der Slowakei kümmert sich um eine Greisenpaar am Bodensee. Sie betreut den senilen und ans Bett gefesselten Max und erträgt seine garstige Frau Lore, einen rollenden Hausdrachen allererster Güte. Als Lore sich bei der Agentur wegen Nichtigkeiten beschwert, möchte Martina unbedingt fliehen. Das hohe Alter erschreckt uns in der Dokumentation von Anna Hoffmann. Ein gruseliger Blick in die eigene Zukunft, in der man von osteuropäischen Frauen gefüttert und gewickelt wird und zum Dank an ihnen herummäkelt.

In BEDWAYS scheitern drei junge Schauspieler daran, einen Film mit einer expliziten Sexszene zu drehen. Eins der Mädels soll eigentlich die Regisseurin abgeben, der partout nichts einfallen will. Stattdessen haben sie einfach nur so Sex bei den Probeaufnahmen und zeigen ihre Geschlechtsorgane in die Kamera. Bereits nach wenigen Minuten ödet der Inspirationsmangel der Figuren so sehr an, dass man an den Sexszenen keine Freude mehr hat. Da wünscht man sich eine Fassung um die sieben Minuten, aus der das Gelabere komplett herausgeschnitten wurde. Die achtzig Minuten Filmzeit lassen nur ein Fazit zu: Ab in den Giftschrank!


Kaum jemand, den man nach der Vorführung eines der fünf Programmblöcke der BERLINALE SHORTS ansprach, war wirklich durchweg begeistert. Man hatte das Gefühl, dass zunehmend lange und mitunter langweilige Kurzfilme aus den 1000 Einsendungen gewählt wurden. Kurzfilm als eigenständige Kunstform zu betrachten fällt schwerer, wenn immer wieder Werke gezeigt werden, deren Macher eigentlich später Spielfilme produzieren wollen. Dann ist man nur auf der Durchreise. Wieder hat man es vornehmlich mit Studenten- oder Absolventenfilmen zu tun. Die Regisseure gelangten eben allein durch die Beziehungen, die sie im Studium knüpften, an die Produktionsmittel. Wann öffnet sich die Berlinale endlich all den Filmemachern, die ohne Budgets und ohne Filmstudium Sehenswertes zu Wege bringen? Diese arbeiten aus Kostengründen natürlich mit Videokameras und können meist nur DVDs einreichen oder eben miniDV Bänder. Die Resultate haben dann eine Fernsehauflösung und sind weniger ausgeleuchtet. Aber dafür strotzen sie nur so vor Ideen.

Allerdings gab es auch Kleinode wie den verträumten Animationsfilm AKAI MORI NO UTA (THE SONG OF RED FORREST). Ein mythisches Wesen mit Menschenkörper und Rehkopf läuft mit einer Sitar durch den Dschungel. Es setzt sich hin und spielt eine Musik, die viele Tiere und Fabelwesen anlockt.

In einem Selbstexperiment namens UNPLAY schläft Joanna Rytel mit zwei Freunden und fragt sie, wie sie das finden. Man weiß nicht genau, ob das inszeniert ist. Der Film besteht nur aus einer Einstellung vom Stativ auf ein Bett und einem kurzen Gang durch eine Stadt zu einem Café.

Zum Gewinner des goldenen Kurzfilmbären HÄNDELSE VID BANK sowie zu DERBY, WO ICH BIN IST OBEN, GLUKHOTA und A PERM findet man jeweils detaillierte Kritiken auf unserer Webseite.

Mit dem gelben Mond hat ZUTI MJESEC nichts zu tun. Eine neue Nachbarin möchte sich schwangeren Lana vorstellen. Die Frauen machen Smalltalk in der Küche und kommen nicht richtig in Fahrt, aber dann teilen sie unter der Bettdecke ein Geheimnis, von dem der Zuschauer nichts erfährt. Da fragt man sich, wozu man den Film braucht. Muss also Kunst sein.

Der TUNNEL führt das Mädchen Elizabeth in Zimbabwe zurück in ihr Dorf, in dem sie ihren verschollenen Vater vermutet. Allerdings erfindet sie in der Geschichte, die sie den Soldaten erzählt, bestimmte Dinge hinzu. Immerhin hört ihr der Hauptmann zu. Wird er ihr Helfen, das Dorf von den Invasoren zu befreien?

Wieder einmal hat Jonas Odell ein Interview geführt und dann in TUSSILAGO zum Animationsfilm umgearbeitet. Der unverwechselbare und sehr aufwändige Collagenstil paart sich mit sehr schnellem Schwedisch, wobei meist weiße Untertitel auf weißem Grund kaum lesbar sind. Es geht um die Freundin eines deutschen RAF Mannes in Stockholm und die Zeit, die sie mit ihm verbrachte vor seiner Verhaftung und ihrer. Gewissermaßen gibt der Film ihr ein Stück Leben zurück, das sie wohl im Knast verbrachte. Die vorangegangenen Filme Odells hatten den Vorteil, dass mehrere Stimmen zu Worte kamen und die Themen erster Sex und Lüge beim Publikum stärker wirkten. Der nächste Film wird bestimmt wieder daran anknüpfen.

In COLIVIA bringt ein rumänischer Jungen eine verletzte Taube in die Wohnung. Lange zaudert der Vater, dem Tier zu helfen. Als er endlich einen Käfig besorgt, ist der Vogel weg. Noch ein Familienfilm.

Zitate aus Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ erklingen zu einer Flussfahrt irgendwo in Asien. Dieses Gewässer gleicht einer riesigen Müllhalde und manchmal baden sogar Kinder darin oder Fischen mit Netzen. Ascan Breuer nennt das Resultat dieser Abfallbesichtigung PARADISE LATER. Der Kontrast zwischen melancholischem Sprechtext und ekliger Landschaft mag Fragen zur Zivilisation, Überbevölkerung und Umweltverschmutzung aufwerfen.

Der Belgier Nicolas Provost hat in LONG LIVE THE NEW FLESH Szenen aus Horrorfilmen wie Shining, Alien und Carrie zusammengeschnitten. Dann ließ er eine Software die Bilder ineinander morphen und den Sound verunstalten. Vorlage für die visuelle Veränderung sind Komprimierungsfehler von digtalem Filmmaterial. Man hat das oft im Internet, wenn Codecs nicht richtig funktionieren und die Pixel wild herumspringen. Als Resultat bekommt man eine Viertelstunde Schockerszenen, die mitunter bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind. Provost erhebt also das Digitalrauschen zur Kunstform und arbeitet sich an Monstern, Mord und Mutationen ab.


Eher Pech hatte ich mit meiner Auswahl im Bereich FORUM. Grundregeln des Spannungsaufbaus im Film werden bewusst negiert. Die Resultate schläfern oft ein und halten mich davon ab, mich eingehender mit dieser Festivalsektion zu befassen. Kunst, Didaktik, Alltagsdramen. Als unabhängier Filmemacher sollte dies eigentlich genau meine Sektion sein. Aber es gab Hoffnungsfunken im Sammelsurium des unabhängigen Kinos.

Yang Yonghi. eine Japanerin mit koreanischen Wurzeln, filmte über zehn Jahre hinweg ihre Nichte SONA, THE OTHER MYSELF. Diese Familienvideo zeigt, wie das Kind heranwächst aber die nordkoreanische Gesellschaft erstarrt. Die Einreise wird immer schwerer und Verwandte sterben irgendwann. Das fühlt sich so an, als hätte jemand aus West-Berlin seine Ostverwandtschaft in den 80ern gefilmt. Mit einfachsten Mitteln und viel Fleiß entstand ein emotionales Portait auch der Regisseurin selbst. Einer der wenigen Filme, die auf miniDV Kassetten gedreht wurden und es bis in die Berlinale schafften.

Der rumänische Geheimdienst Securitate jagte und vernichtete in den 50ern eine Gruppe Partisanen in den Bergen. PORTRAIT OF THE FIGHTER AS A YOUNG MAN von Constantin Popescu führt uns durch Wälder und Dörfer zu diesen Widerstandskämpfern, die sowohl zahlenmäßig als auch waffentechnisch stark unterlegen sind. Sie nutzen zwar das Gelände, werden aber einer nach dem Anderen geschnappt, gefoltert oder gleich erschossen. Sie opfern sich für eine Illusion der Freiheit und warten vergeblich auf amerikanische Hilfe. Während die Offiziere die Frauen der Kämpfer foltern, gefundenes Filmmaterial auswerten und eine irrsinnige Ideologie mit Gewalt durchsetzen, schwindet mit jedem Kameraden auch die Motivation der Waldkämpfer in den Karpaten. Die Luft ist leider aus dem Film dramaturgisch schon nach der Hälfte raus.

Im südindischen Bundesstaat Goa beaufsichtigt Vinayak in THE MAN BEYOND THE BRIDGE die Waldarbeiter. Eines Tages kommt eine Bettlerin zu dem Witwer. Er scheucht sie fort aber sie taucht wieder auf. Aus Mitleid wird schnell Liebe, was der Dorfgemeinde missfällt. Diese billigt lieber den Holzklau, damit ein Tempel gebaut werde. Irgendwann reißt Vinayaks Geduldsfaden und mit ihm die Brücke über den Fluss zum Wald. Noch einer dieser extrem ruhigen Filme, vor denen man viel Koffeinhaltiges getrunken haben sollte.

Der französische Flughafen ORLY ist die Kulisse für einige Dialoge Reisender. Obwohl die Bilder gut gemacht sind, langweilt dieser Film von Angela Schanelec bald. Alltagssituationen sollten irgendeine klar erkennbare Dramaturgie und Steigerung besitzen, damit sie filmwürdig werden. Zumindest, wenn man ein Festivalpublikum ansprechen will. Wundersam sind die Wege der deutschen Filmförderung.

So richtig fantastisch wirkt OUR FANTASTIC 21ST CENTURY von Ryu Hyung-ki nicht. Vielmehr erdrückt uns eine Stille um die Protagonistin Soo-young, die Regale einräumt und sich Videospielkonsolen abzweigt, damit sie Geld für eine überflüssige Schönheits-OP hat. Das mag als Sozialkritik präzise und wertvoll sein, unterhält aber im Kino kaum. Wenigstens einen minimalen Spannungsbogen bekommt Ryu hin, und baut winzige Humorszenen mit Kostümen ein. Obwohl man exakt im Zentrum der Zielgruppe sitzt, springt kaum Empathie zu den Figuren über.

Die Collage LA BOCA DEL LUPO gewann den Calligari Preis aber langweilte mit einer Erzählerstimme und Archivbildern aus Italien derart, dass ich es nur 15 Minuten ertrug.

4. März 2011

Berlinale 2011 Festivalbericht

The King's Speech
Berlins größtes Filmereignis brachte zum 61. Mal zehntausende Cineasten und Filmschaffende zusammen und flackerte frenetisch durch den medialen Februar 2011. Bei der massiven staatlichen  Kulturförderung darf man das auch erwarten. Es ist derart komplex, dass ein Resümee nur Streiflichter erfassen kann. Fest steht: Film ist allgegenwärtiges Verbrauchsgut, Unterhaltungsgarant zumeist und oftmals kompliziert in der Herstellung. Bildmacht und Emotionskatalysator zugleich blendet und betäubt uns das Medium und erzeugt Träume, Wünsche und Geschichten.

Man brauchte sich jedoch nur wenige hundert Meter vom Potzdamer Platz zu entfernen um zu bemerken, wie wenig Notiz die Bevölkerung davon nimmt. Während man als Reporter oder Regisseur täglich mehrere Filme schaut, Empfänge und Vorträge besucht, abends Festivalparties geniesst, plätschert der Alltag gleichmäßig dahin für die Stadtbewohner. Einige stellen sich zwar für die teuren Kinokarten an, aber die meisten fahren einfach zur Arbeit oder heim, kaufen ein oder verkaufen, konsumieren und kommunizieren. Insofern bekommt man eine Außensicht auf dieses Hochenergiegebilde namens Filmfestspiele. Man begreift den Luxus und das Privileg, sich mit der Filmkunst nach Herzenslust befassen zu können und kommentiert, kritisiert, applaudiert.
Armin Mueller-Stahl
Also möchte ich mich bei allen Festivalorganisatoren, Filmemachern und den fleißigen Helferinnen bedanken, die uns dieses Ereignis alljählich schenken. Es war vergnüglich und anstrengend, mal voller Kinowunder, mal rätselhaft. Auf dem EFM brummte nach Aussagen des Managements das Filmgeschäft. Man traf liebe Bekannte an den Verkaufsständen und plauderte mit Produzenten, Verleihern und dem Personal. Armin Mueller Stahl erhielt eine Hommage und eine goldene Kamera für sein beachtliches Lebenswerk.

Late Bloomers
Die Shooting Stars wurden artig fotografiert und einige etablierte Schauspieler defilierten über den Teppich, den roten. Autogramme beglückten Fans. Plakate mit großen Bs schmückten die Hauptstadt. Der TALENT CAMPUS vernetzte die Jungfilmer mit den Experten wie gewohnt. Inzwischen werden sogar schon Kinoiten dort hereingelassen, jene aktivste Guerilla-Filmergattung, die ohne Budgets, Vorbereitung oder Wettbewerb bei Filmworkshops (KinoKabarets) ihre Kurzfilme fast monatlich produziert. Sehr erfreulich!
Ralph Fiennes (CORIOLANUS) und der Komponist Michael Nyman gaben sich die Ehre ebenso wie Isabella Rosselini, deren Schauspiel in LATE BLOOMERS neben William Hurt erblühte. 

Margin Call
Die Festivalsektionen verschwammen wie üblich vom Profil, aber letztlich ging es immer um Bewegtbildphantasien oder Weltabbildung. In MARGIN CALL drehen Börsenfutzis um Kevin Spacey ganz linke Dinger, um ihre Haut zu retten. Sie lösten so das Finanzdesaster 2008 aus. Ein stotternder englischer König wird in THE KING'S SPEECH von einem amüsanten Australier (Jeoffrey Rush) therapiert. Dafür bekam Colin Firth einen Oscar. Und die Queen Mom wurde verkörpert von einer großartigen Helena Bonham Carter. Apropos: Kulinarisch wurde es in der Komödie TOAST. Helena Bonham Carter gibt hier auch als Mrs. Potter dem jungen Nigel Slater (Freddie Highmore) ordentlich Zucker. Soll heißen: Die beiden wetteifern im Kochen und Backen um die Gunst von Nigels verwittweten Vater in den 1960ern. Aus Nigel wird trotz einiger Rückschläge später einer der besten Köche Englands. Sehr vergnüglich.
Brendan Gleeson und Don Cheadle ermitteln in Mordfällen an der irischen Küste. Sie wollen in THE GUARD auch noch einen großen Drogentransport verhindern. Soweit wäre das nicht erwähnenswert, würden die Charaktere nicht so ulkige Eigenarten aufweisen. Der Dorfpolizist macht den FBI Ermittler mit seiner ruhigen Art ganz wuschig. Eine Krimikomödie, die man sich im PANORAMA anschauen konnte.
Mein bester Feind
In MEIN BESTER FEIND spielt Moritz Bleibtreu einen Wiener Juden, der nach einem Flugzeugabsturz die Naziuniform seines Freundfeindes Smekal anzieht, um zu überleben. Eine recht gelungene Dramödie mit vielen Wendungen und Ursula Strauss als Lena. Viele Schauspieler in Murnbergers Film sprechen mit echtem Wiener Akzent, nur Bleibtreu leider nicht. Ansonsten prima inszeniert, verwundert also diese Besetzung. Ja, es ist ein weiterer Streifen über die Nazis und KZs, der aber auch zum Lachen einlädt. Vielleicht sollte einfach das deutsche Publikum vom Namen Bleibtreu angezogen werden, denn Österreich und Luxemburg als Produktionsländer sind natürlich viel kleiner, was die Kinoauswertung anbelangt. Mal sehen, ob das funktioniert wie in Murnbergers grandiosem KNOCHENMANN.

Schaute man genauer hin, stellte man im Festival eine gewisse Medienmüdigkeit fest sowohl bei den Inhalten als auch bei den Machern. Lag es am Wetter, an der Weltpolitik oder an den Hormonschwankungen? Rührte es von sinkenden Produktionsbudgets oder der übergroßen Konkurrenz aus den USA her? Der Wettbewerbsblock schwächelte nach einhelliger Kritikermeinung, was natürlich dem Kartenverkauf keinen Abbruch tat. Umsatz wird die Berlinale gewiss gemacht haben, aber die Filmqualität schwankte wie gewohnt, weil ja so viele Geschmäcker bedient werden wollen. Das Festival verästelt sich.
Was gab es Neues? 3D ist eigentlich keine große Sache mehr. 3D Dokus ebensowenig. 
Life in a Day
Vielleicht der LIFE IN A DAY. Da hat man sich die Dreharbeiten komplett gespart und lieber YouTube Amateure gebeten, einen Lebenstag zu bebildern. Der Film funktioniert also nur als Collage und Zusammenschnitt von 4500 Stunden Bildmaterial. Das menschliche Leben soll in seiner Mannigfaltigkeit erfaßt werden. Aufstehen, essen, urinieren, Fahrrad fahren, schuften, reden, jagen, spielen, schlachten, schäkern, sich ängstigen, lachen, weinen. Man könnte noch viele Verben auflisten. Die Leute benutzen ihre Kameras als Spiegel oder Voyeure. Wenn Ridley Scott da mitmacht, soll das wohl für Qualität stehen. Natürlich wurde nur eine begrenzte Zahl Protagonisten herausgepickt. Am Ende heult eine Amerkanerin in die Kamera, wie unwichtig sie doch wäre und wie langweilig ihr Tag war aber dass sie doch hier sei. Schon nach einigen Minuten bringt dieser Bildersalat ein Gefühl klar zum Vorschein. Überinformation durch Zapping.

Hauntings I
In der kanadischen Botschaft liefen Guy Maddins kurze Stummfilme auf Fernsehern in einer Dauerschleife. Das nennt sich FORUM EXPANDED und soll die Übergänge zwischen Film und Kunst bündeln. Man setzte sich mit Kopfhörern davor und lauschte den Soundtracks, während man Udo Kier als Flieger-Ass in putzigen selbstgebastelten Filmsets und ulkigen Kostümen bestaunte. Die Filme sind wohl ganz flink entstanden und hektisch geschnitten, haben alle den gleichen Look und Texteinblendungen, die den Filmpionierstil immitieren. Skuril und sympathisch.

In der Jury des Wettbewerbs fehlte der Iraner Jafar Panahi, denn er sitzt leider im Gefängnis, weil er  systemuntreue Ideen hatte. Also sperrte ihn die iranische Gedankenjustiz vorsorglich weg. Die Berlinalejury vergab sowohl den Goldenen Bären als auch die Silbernen Schauspielbären an den iranischen Beitrag NADER AND SIMIN – A SEPARATION. Ob das als Politikum fungiert oder doch an der Qualität des Streifens liegt, der auch auf dem Teheraner Filmfest abräumte, kann ich nicht beurteilen.
Nader and Simin - A Separation
Die Jury bestand aus Filmkünstlern und Schauspielerinnen, die wenig Mainstreammaterial abliefern. Aber deren Entscheidungen mögen ein Zeichen dafür sein, dass die Zeit revolutionsreif ist für die gesamte arabische Welt. Die Regime wehren sich noch hie und da und werden wohl von anderen religiösen Eiferern ersetzt. Nicht umsonst recken die Kämpfer ihre Fäuste und Waffen in den Himmel mit ihrem Gott auf den Lippen. Aber von Tunesien über Lybien und Ägypten bis auf die arabische Halbinsel reicht nun die Aufruhrwelle. Eine Zeit des Zorns und der Gewalt bricht an, deren Konsequenzen auch wir Europäer verspüren werden.

Zwar präsentiert die Berlinale ein relativ breites Spektrum internationaler Produktionen zwischen Kunst und Kommerz, aber zeigbar sind lang nicht alle davon. Als Filmkritiker bin ich kaum komplett zu beglücken und ärgere mich oft, dass ich im FORUM wieder Pech hatte mit langweiligen und unverständlichen Mediengebilden.
Als aktiver Filmemacher und Festivalorganisator hingegen gratuliere ich allen ausgewählten und prämierten Kollegen herzlich. Weiter so! Die Berlinale macht sich immer gut in der Filmographie!

Hier finden Sie die Kritiken zu den einzelnen Berlinalesektionen: